#Peter Gabriels neue Platte: Kein Trostgesang bei Neumond
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Könnte sich das Orchester bitte etwas zurückhalten? Peter Gabriels neue Platte „i/o“ enthält manche Perlen und leidet doch am Unvermögen eines Perfektionisten, rechtzeitig beim Produzieren Schluss zu machen.
Ein Jahr lang bekam man an jedem Vollmond von Peter Gabriel ein Lied geschenkt. Nach und nach veröffentlichte der ehemalige Genesis-Sänger zwölf Stücke im Internet, jedes von ihnen im „Bright-Side Mix“ und, jeweils zu Neumond, auch im „Dark-Side Mix“, den der Produzent Tchad Blake verantwortet. Natürlich gehört eine Inszenierung dazu, wenn ein Künstler wie Peter Gabriel einundzwanzig Jahre nach „Up“, seinem letzten Album mit Neukompositionen, nun eine Platte namens „i/o“ veröffentlicht. Dass aber das früher übliche Verhältnis von Schallplatte und Single-Auskopplung derart umgekehrt wird, dass man das gesamte Album schon kennt, bevor es erscheint, ist ungewöhnlich.
Gabriel ist ein Meister darin, ein Raunen hervorzurufen, und die Vorgeschichte von „i/o“ bildet da keine Ausnahme: In Interviews berichtete Gabriel viele Jahre lang von einem Album, an dem er arbeite, und zig Song-Ideen, die er mit sich herumtrage. Während er Filmmusik schrieb und Kompilationsalben veröffentlichte, auf denen er Lieder von Kollegen aufnahm und die Kollegen seine, während er auf Tournee ging und Lieder vorstellte, die sich nun vereinzelt unter anderem Namen auf der neuen Platte finden, fachte er die Erwartung an. Bis hin zu der in diesem Jahr durchgeführten Tournee, auf der er wiederum einen großen Teil der Lieder von „i/o“ vorstellte (F.A.Z. vom 30. Mai).
Wo bleibt der Mix zum Halbmond?
Wer so lange an etwas feilt, ohne durch einen Brotberuf daran gehindert zu sein, der findet offenbar nur schwer zu künstlerischen Entscheidungen. Das betrifft nicht nur das Material – unter Gabriels Anhängern kursieren Listen mit zahlreichen Songtiteln, die es nicht auf das Album geschafft haben und vielleicht eines Tages andernorts ans Licht kommen –, sondern auch dessen Präsentation. Das Album erscheint auf einer Doppel-CD, die, zum üblichen Preis einer CD, alle zwölf Lieder in beiden Abmischungen enthält. Das leuchtet dort ein, wo ein Lied wie „Panoptikon“, das Eröffnungsstück der Platte, das von Fluch und Segen der digitalen Gleichzeitigkeit erzählt, zwei atmosphärisch deutlich unterschiedliche Fassungen erhält – im Bright-Side Mix ist die Instrumentierung offener, die Stimmen sind ätherischer, während die andere Mischung bei identischer Länge dumpfer und verhaltener ist und die Stimmen einen Hauch Verzweiflung ausdrücken.
Es sind Nuancen, aber die haben es in sich. Die Klavierballade „So Much“ etwa mündet in der Vollmondmischung zu der Zeile „So much can be done“ in einen tröstenden Chor, der in der Neumondfassung wesentlich verhaltener singt. Die Aufmerksamkeit jedenfalls, die Peter Gabriel durch diese Parallelveröffentlichung auf das Arrangement seiner Lieder lenkt, ist verdient. Das betrifft nicht nur die exzellenten Musiker, mit denen er zum Teil seit Jahrzehnten arbeitet, allen voran der Bassist Tony Levin, der Gabriels Sound seit Jahren wesentlich mitbestimmt.
Das Arrangement macht auf„i/o“ bisweilen aus durchschnittlichen Kompositionen aufregende Lieder oder veredelt durch geschickten Einsatz etwa der Stimmen die ohnehin guten Lieder wie „And Still“ zu Perlen. Manchmal nimmt die Sache leider auch den umgekehrten Weg, wenn sich pompöse Streicher über vielversprechende Refrains legen – „Olive Tree“ oder „This Is Home“ würde man gern ohne die aufdringlichen Orchesterklangteppiche hören, die sich – wiederum in „And Still“ – vom Hintergrund gern in den Vordergrund schieben. Um noch besser der exquisiten Percussion zu lauschen und natürlich dem Bass. Das wäre ein Fall für einen weiteren Mix, vielleicht zum Halbmond.
Er ist ein Teil der ganzen Welt
In „Up“ hatte Peter Gabriel sich in seinem Interesse am Experiment noch bisweilen etwas verloren, so wie er im aufregendsten Stück der Platte den Weg in einen dichten Wald beschreibt, in dessen Zentrum er sich seinen Ängsten stellt. Auf „i/o“ ist die Gefahr, irgendjemanden zu verstören, gering. Das Titelstück beschreibt altersmilde unsere Vernetzung mit der Welt – „Stuff coming out, stuff going in / I’m just a part of everything“, singt Gabriel, und wer würde ihm da widersprechen?
Ein Kracher wie „Sledgehammer“ fehlt der Platte, ein musikalisch vertracktes Stück wie „Solsbury Hill“ auch, aber die große Geste, das überschäumende Arrangement scheut Gabriel nicht. Etwa in „Playing for Time“, das ein weiteres Mal mit einer sparsamen Klavierbegleitung beginnt, um sich dann langsam einem Klangstrom hinzugeben. Hat sich das Warten gelohnt? Sicher. Nur manche Lieder hätte Gabriel früher aus der Hand geben können.
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