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#Plötzlich mitten im emotionalen Reizklima

Plötzlich mitten im emotionalen Reizklima

Er war ständig unterwegs und setzte laufend Zeichen. Er ruderte mit den Armen mal nach vorn, mal nach hinten und setzte damit unübersehbare Signale für die Momente, in denen Gemeinschaftswerke in Richtung Attacke oder Verteidigung vonnöten waren. Zwischendurch hob der Mann im grauen Wollhemd beide Arme zum Klatschen, wenn seinen Spielern mal eine sehenswerte Aktion gelungen war.

Mit anderen Worten: Stefan Kuntz, der neue Trainer der türkischen Fußball-Nationalmannschaft, war am Freitagabend wie zuvor in seinen erfolgreichen Jahren als Trainer der deutschen U 21-Auswahl jederzeit engagiert und positiv gestimmt, wenn es darum ging, seine Spieler in jeder Situation flankierend zu unterstützen. Dass seine Premiere im Stadion von Fenerbahce Istanbul am Freitagabend dann doch nur halbwegs glückte, hatte eher damit zu tun, dass der 58 Jahre alte Saarländer als Nachfolger des Kollegen Senol Günes ein schwieriges, wenn auch perspektivisch reizvolles Erbe übernommen hat.

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Fürs Erste reichte es im Weltmeisterschafts-Qualifikationsspiel der Gruppe G nur zu einem 1:1 für den Tabellendritten gegen den Zweiten Norwegen nach den Treffern von Aktürkoglu (6. Minute) und Thorstvedt (41.). Zu wenig, um die Aussichten auf das Erreichen der WM-Endrunde 2022 in Qatar aufzuhellen, aber immerhin noch genug, um bei drei noch ausstehenden Spielen weiter auf die eigene Chance in den dann folgenden Playoff-Duellen zu hoffen.

Der notorische Optimist und Kommunikator Kuntz, der auch ob seines empathischen, mitreißenden Naturells zwei Europameistertitel (2017, 2021) und einen zweiten Platz (2019) mit der deutschen U 21-Mannschaft erreichte, steht dafür jedoch ab sofort in den Spielen in Lettland an diesem Montag (20.45 Uhr) sowie im November gegen Gibraltar und in Montenegro unter Siegzwang. Ob sein am Freitagabend im Sükrü-Saracoglu-Stadion über weite Strecken noch eher verunsichertes als couragiertes Team bis dahin den qualitativen Sprung zu mehr Selbstbewusstsein schafft, ist die Frage, die sich auch ihr neuer Trainer stellen wird.

Suboptimaler Einstandsertrag

Dass im ersten Spiel nach der vorangegangenen demütigenden 1:6-Niederlage beim Gruppenersten Niederlande trotz des Trainerwechsels so etwas wie Aufbruchstimmung nur in Spurenelementen sichtbar wurde, etwa, wenn der stürmische Torvorbereiter Cengiz Ünder seine Angriffslust auslebte, war nach dem verhagelten Sommer mit dem sieglosen Vorrunden-Aus bei der Europameisterschafts-Endrunde und dem Nackenschlag in Amsterdam nachvollziehbar.

Ein bisschen knabberte auch Kuntz an dem suboptimalen Einstandsertrag. „Wir hätten unseren türkischen Fans gerne einen Sieg geschenkt, um die Pflanze der Hoffnung ein bisschen schneller wachsen zu lassen – die ist jetzt noch ein bisschen klein“, sagte er nach seinem Debüt zwischen Neuaufbruch und Altlast. Der türkische Blitzstart mit dem frühen Führungstor hatte nicht gereicht, um eine Initialzündung hervorzurufen. Dafür hatten sich Kuntz’ Profis zu oft zu überhastet vor dem Tor der Skandinavier angestellt und zu nervös und unentschlossen das eigene Tor verteidigt.

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Ein Ergebnis der noch instabilen Balance, die der deutsche Trainer mit seinen in Deutschland angeheuerten Assistenztrainern Kenan Kocak und Jan-Moritz Lichte nun auf die Schnelle ins Lot bringen muss.

„Es fehlt weiter an Selbstvertrauen im Team“, sagte Kuntz. Hamit Altintop, der langjährige Bundesligaprofi des FC Schalke 04 und des FC Bayern München, hat ihn als Sportdirektor des türkischen Fußballverbandsvorstands von einem Dreijahresengagement überzeugt. Auf Anhieb musste er nun mit einer verpassten Gelegenheit fertig werden, gegen eine unaufgeregte norwegische Mannschaft ohne die Urgewalt des verletzten Dortmunder Stürmerstars Erling Haaland.

Viel Pathos und Feuer

Dass anders als bei den Auftritten der deutschen U 21-Mannschaft, die selbst bei den EM-Endrunden vor einer überschaubaren Zuschauerzahl in einer stets wohlwollend angenehmen Atmosphäre stattfanden, diesmal auch viel Pathos und Feuer im Spiel war, erlebte der Türkei-Kenner Kuntz, in der Saison 1995/96 bei Besiktas Istanbul unter Vertrag, neben dem mittelmäßigen Spiel gleich mit. Ein Teil der 23.917 Fans pfiff nach dem Ende der Kennenlernbegegnung mit dem neuen Trainer sogleich auf den Einstandsertrag. Und in der Pressekonferenz danach fragte ein einheimischer Journalist beharrlich danach, welchen Anteil sich Kuntz an diesem unbefriedigenden 1:1 zurechne.

Der 58 Jahre alte Mann, der der „deutscheste Türke und der türkischste Deutsche“ werden möchte, ließ sich dadurch nicht aus seiner Grundfreundlichkeit bringen. Da, wo jetzt sein Arbeitsplatz ist, wird er anders als in Deutschland, wo er sich als Entwicklungshelfer der jungen Profigeneration einen großen Namen machte, auf Schritt und Tritt mit dem emotionalen Reizklima zwischen heller Begeisterung und rasch aufflammender Empörung rechnen müssen. Große Zeitungen wie Hürriyet („Wir haben eine tolle Gelegenheit verpasst“) und Fanatic („Der deutsche Impfstoff hat nicht gewirkt“) erinnerten Kuntz auf Anhieb daran, dass er sich in Istanbul auf Momente der Wechselstimmung gefasst machen muss.

Den Reiz, auch jenseits der Heimat erfolgreich sein zu können, möchte er in den kommenden drei Jahren unbeirrt auskosten. Wie zuvor die deutschen Kollegen Otto Rehhagel (2004 Europameister mit Griechenland), Jürgen Klinsmann (bei der WM 2014 mit dem Team der Vereinigten Staaten im Achtelfinale nach einem 0:1 am späteren Weltmeister Deutschland gescheitert) oder Ottmar Hitzfeld (mit der Schweiz 2010 und 2014 bei zwei WM-Endrunden dabei). Und so versprach Kuntz den ebenso erwartungsfrohen wie ungeduldigen Fans der Milli Takim: „Wir werden unseren eigenen türkischen Stil finden.“ Wie lange das noch dauern kann, sagte er mangels belastbarer Fakten erst einmal nicht.

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