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#Plötzlich steht die Existenz in Frage

„Plötzlich steht die Existenz in Frage“

Peter Hinke, der in Leipzig die Connewitzer Verlagsbuchhandlung und die Buchhandlung Wörtersee betreibt, brauchte einige Stunden, um sich durch die Ver­gabeunterlagen zu pflügen, die seit dem 22. April – passenderweise Vortag des UNESCO-Welttags des Buches – digital zugänglich sind. Für die heute noch knapp dreißig zumeist inhabergeführten Leipziger Buchhandlungen sind die zwei Dutzend Dateien in trockenem Amtsdeutsch eine echte Hiobsbotschaft: Die Leipziger Städtischen Bibliotheken, formal dem Kulturamt unterstellt, schreiben ihre Etats für die Jahre 2023 bis 2026 europaweit aus.

Wozu? Es gibt doch im Buchhandel die Preisbindung. Der Bezug preisgebundener Bücher – für die öffentliche Bibliotheken, gesetzlich fixiert, einen Rabatt von zehn Prozent bekommen – ist in der Ausschreibung an „bibliotheksspezifische Serviceleistungen“ wie Folierung oder Anbringung von Barcodes und Diebstahlschutz gekoppelt; ganz offensichtlich sind dies die Zuschlagskriterien, und Outsourcing soll Kosten sparen. Mit Abgabe des Angebots sind zwei bearbeitete „Musterbücher“ und die jetzt all­fällige „Russland-Erklärung“ abzugeben, Bewerbungsschluss ist der 23. Mai, also hatte man nur einen Monat Zeit. Das Anforderungspaket ist ganz offensichtlich so gestrickt, dass es nur für große Player wie Schweitzer, EKZ-Bibliotheksservice oder Hugendubel zu erfüllen ist, die über entsprechende Software, Maschinen und Know-how verfügen. Das Muster ist dabei keineswegs neu: 2018 etwa übernahm Hugendubel Fachinformationen bereits die Belieferung der Ber­liner Zentral- und Landesbibliothek (ZLB), der größten öffentlichen Bibliothek Deutschlands. Der lokale Buchhandel war damit dort auf Dauer abgehängt.

Für manche sichern die Bibliotheken die Existenz

In Leipzig vergaben die Städtischen Bibliotheken ihre Etats bislang freihändig, gesplittet in kleinere Tranchen und vorrangig an den Buchhandel vor Ort. Größere und kleinere Sortimente partizipieren, das Auftragsvolumen nimmt zwischen zehn und dreißig Prozent vom Jahresumsatz ein, für manchen Buchhändler eine existenzsichernde Größe. Das Modell hat sich bewährt: schneller Service, kurze Wege. Von Hinkes Wörtersee bis zum Hauptsitz der Stadtbibliothek braucht es mit dem Lastenfahrrad zwei Minuten. Hinke war es auch, der den Vorgang im Newsletter seiner Buchhandlung, dem „Connewitzer Literaturkurier“, öffentlich gemacht hat und seitdem über der Korrespondenz und Telefonaten mit dem Kulturamt, den Leipziger Städtischen Bibliotheken, dem Börsenverein und seinen lokalen Kollegen kaum noch zum Bücherverkaufen kommt. „Wir sind völlig unvorbereitet in ein Problem gestolpert, welches man im Miteinander schon lange vorher hätte angehen können“, beklagt der Buchhändler. Monika Osberghaus, Verlegerin von Klett Kinderbuch, hat sich inzwischen per offenen Brief an Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung gewandt.

Die Stadt verschanzt sich angesichts der aufwallenden Emotionen hinter den Paragraphen des Vergaberechts. Hinkes Vorwurf mangelnder Kommunikation be­gegnet man mit dem Verweis auf frühere Vergabeverfahren – etwa für den Non-Book-Bestand (CD, DVD, Spiele) der Städtischen Bibliotheken im Volumen von knapp 200.000 Euro. Nach diesem ersten Schritt einer sukzessiven Umsetzung des Vergaberechts könne die jetzige Ausschreibung für Bücher niemanden überraschen. „Ich sehe das Problem und bin ganz bei den Buchhändlerinnen und Buchhändlern“, sagt Leipzigs Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke, seit 2019 auch Vorsitzende des Kulturausschusses des Deutschen Städtetags, gegenüber dieser Zeitung. „Eigentlich soll das Vergaberecht den Wettbewerb sichern; wir er­leben jedoch, wie es den Wettbewerb ausbremst, weil es am Ende nur die großen Player stärkt. Das ist ein politisches Pro­blem, das auf europäischer Ebene gelöst werden müsste.“ Im konkreten Fall sieht sich Jennicke in der Funktion der Exekutive, frei von Ermessensentscheidungen. „Da, wo es vergaberechtlich Spielraum gegeben hat, haben wir ihn genutzt.“

Daran haben die betroffenen Buchhändler, die sich zwischenzeitlich mit dem Börsenverein beraten haben, erhebliche Zweifel – nicht zuletzt angesichts der kreativen, den lokalen Handel einbindenden Vergabelösungen anderer deutscher Städte. Sie glauben, dass es keinen Zwang zum Abschluss von Rahmenvereinbarungen über mehrere Jahre gibt – schon bei einer jährlichen Vergabe lägen die Auftragswerte deutlich niedriger. Würde die Kommune der Stadtbibliothek und den fünfzehn Zweigstellen eigene Beschaffungsbudgets zur Ver­fügung stellen, lägen die jährlichen Beschaffungsaufträge der einzelnen Bibliotheken sicherlich unter dem Schwellenwert von derzeit 215.000 Euro, der eine europaweite Vergabe zwingend vorschreibt. Schließlich muss die Beschaffung von preisgebundenen Medien nicht zwingend mit der Beauftragung zu kommerziellen Dienstleistungen verbunden werden. Christian Sprang, Justiziar des Börsenvereins, sieht hier die potentielle Gefahr einer unzulässigen Quersubventionierung. Formalrechtlich ist gegen die Ausschreibung wohl nichts einzuwenden. Sprang rechnet jedoch damit, dass es schwierig werden dürfte, „eine Zuschlagserteilung sauber hinzubekommen“ – und verweist auf die ZLB Berlin, deren aktuelle Ausschreibung durch die Vergabekammer auf Eis gelegt wurde. Der Anwalt hält die Wahrscheinlichkeit, dass es auch in Leipzig zu „vergaberechtlichen Auseinandersetzungen“ kommt, für „sehr groß“. In der ehemaligen Buchhauptstadt, in der man vom Glanz früherer Zeiten nur noch träumt, hat man ein handfestes Problem.

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