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#Prediger mit Gottkomplex

Prediger mit Gottkomplex

Vor wenigen Wochen schwebte Kanye West, die Arme von sich gestreckt, an unsichtbaren Seilen gezogen in den Nachthimmel davon. Unter ihm ein ausverkauftes Stadion in Atlanta, dem er Musik präsentiert hatte, die es zu dem Zeitpunkt eigentlich noch gar nicht gab.

Und ausgerechnet am Sonntag stand er nun mit der Veröffentlichung seines zehnten Studioalbums „Donda“ wieder auf. Für „Yeezus“ (einer Mischung aus Kanye und Jesus), der sich der Öffentlichkeit seit einigen Jahren als geläuteter Christ präsentiert, ist keine Symbolik zu groß. Immer wieder war „Donda” angekündigt worden, um dann in letzter Sekunde verschoben zu werden. West, der sich in der Umkleidekabine des besagten Stadions samt Tonstudio und Matratze auf dem Boden einquartiert hatte, wollte diesmal wirklich alles richtig machen. Binnen weniger Stunden landete „Donda“ in hundertdreißig Ländern auf Platz eins der Charts und sorgte für einen kurzen Zusammenbruch des Streamingdienstes Spotify. West gilt in seinem unangepassten Größenwahn als ein aus der Zeit gefallener Rockstar, die Erwartung war dementsprechend groß.

Verlust, Religion – und Kanye West

Herausgekommen ist ein gewaltiges Opus. Wer die vorherigen neun Alben von West gehört hat, wird in „Donda“ ein Lebenswerk erkennen, seiner Mutter Donda West gewidmet, die 2007 bei einer vermeintlich harmlosen Operation starb. Schon vor vierzehn Jahren, unmittelbar nach ihrem Tod, nutzte West auf „808s & Heartbreak“ mithilfe von Autotune und Samples die verzerrte menschliche Stimme als neuartiges Instrument. Ein Jahrzehnt später folgte mit Drake und Juice WRLD auf einmal eine ganz neue Generation introvertierter Autotune-Rapper.

Auf „Donda“ hält West seine Predigt begleitet von Gospelchören, Synthesizer und Trapbeats. In den siebenundzwanzig Songs geht es um Verlust und Religion – und Kanye West. Dass sich dies trotz Überlänge nicht abnutzt, verdankt „Donda” seinen hochkarätigen Features. Travis Scott („Off The Grid“), The Weeknd („Hurricane“) und Jay-Z („Jail“) werden alle auf ihre ganz eigene Weise in die Ästhetik des Albums integriert, denn West ist einer der talentiertesten Produzenten seiner Generation. Gerade die erste Hälfte von „Donda” wirkt ausgereifter und düsterer als das Vorgängeralbum „Jesus Is King“. Später findet West zu etwas fröhlicheren Tönen. In „Believe What I Say” wird aus einem Lauryn Hill-Sample („Doo-Woop”) fast schon ein Sommerhit.

Trost im Glauben

In „Jail pt 2” haben dann Marilyn Manson und Rapper DaBaby einen Gastauftritt. DaBaby sorgte unlängst mit homophoben Äußerungen für Kritik, Manson ist mehrfach wegen sexuellen Missbrauchs angeklagt: Die Zusammenarbeit mit ihnen kann nur als Provokation verstanden werden. Wests Label Universal soll die Veröffentlichung von „Jail pt 2” verhindert haben wollen –ohne Erfolg. So sticht der Song unangenehm aus dem Rest des Albums heraus. Am späten Sonntagabend warf Kanye West seinem Label dann noch vor, „Donda” ohne seine finale Genehmigung veröffentlicht zu haben. Die Stimmung scheint wieder einmal aufgeladen, die Konflikte zwischen ihm und seinem Label sind altbekannt.

Seine öffentlichen Ausbrüche scheinen Wests Karriere allerdings nicht besonders zu schaden. Vorläufiger Tiefpunkt war zweifellos seine gescheiterte Präsidentschaftskandidatur, während derer er mit wirren Tweets und öffentlichen Tränenausbrüchen auffiel. Auch in „Donda“ thematisiert West wieder seine psychische Krankheit, nach eigener Aussage eine bipolare Störung. In „No Child Left Behind“ schweben die Zuhörer mit ihm zusammen in die Nacht davon, begleitet von sanften Orgelklängen: „He’s done miracles on me.“ Wieder einmal findet West Trost im Glauben.

Musik als Spielmasse

Dem Album gelingt eine durchaus ungewöhnliche Mischung aus Songs für die Kirche und für den Club. Nach langer Verzögerung wirkt es tatsächlich fertig, lediglich die langen Outros von Songs wie „God Breathed“ sind etwas roh geblieben. Das könnte sich noch ändern. West hat seine Musik immer wieder auch nach der Veröffentlichung weiterentwickelt. Das können seine Zuhörer bald selbst. Demnächst wird der „Donda Stem Player“ auf dem amerikanischen Markt zu erstehen sein, ein winziges Tonstudio in Form eines Eishockeypucks, mit dessen Hilfe Musik in Echtzeit manipuliert werden kann. Abgespielte Songs werden zur Spielmasse, Gesang und Instrumente lassen sich in ihre Einzelteile zerlegen, voneinander trennen, beschleunigen, rückwärts oder in Loops abspielen. Was das Gerät in einem ersten Trailer mit Beethovens Fünfter Sinfonie veranstaltet, wird bei Musikromantikern für empörtes Kopfschütteln sorgen.

Kanye West wird das egal sein. Seine Ideen wachsen längst über die eigene Musik hinaus, in die Fashionindustrie und die Politik. Auch „Donda“ ist voller solcher Experimente. Es gelingen fast alle. Zum Hinhören ist in zwei Stunden genug dabei. Mit „Donda“ wird West einen bleibenden Eindruck hinterlassen, es ist eines seiner besten Projekte geworden. Und es wäre nicht das erste Mal, dass von einem seiner Alben eine Genre-Revolution ausgeht.

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