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#Pritschen mit kratziger Decke

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Pritschen mit kratziger Decke

Für den Liegewagen mit den Pritschen zum Runterklappen, geschweige denn für den echten Schlafwagen, der in meiner Fantasie mit Federbetten und Nachtportier ausgestattet war, hatte ich kein Geld. Aber ich war in diesen Jungen in Mailand verliebt, und um die gemeinsame Zeit voll auszuschöpfen, fuhr ich nachts. Der D-Zug kostete nicht einmal Intercity-Zuschlag. Auf den Hinfahrten tat ich vor lauter Herzklopfen kein Auge zu. Auf den Rückfahrten tropften die Tränen in mein Tagebuch, bis ich erschöpft begann, die Sitze auszuziehen, um eine möglichst bequeme Schlafposition zu finden. D-Züge waren nachts meistens leer, und die flachen Lederpolster ließen sich beinahe in der Mitte des Abteils zusammenschieben.

War der Sitz gegenüber frei, konnte man mit angewinkelten Beinen auf der Seite liegen. War noch mehr Platz, klappte man die Armlehnen hoch und streckte sich der Länge nach über drei Sitzkissen aus. Später, als die Liebe zu dem Mailänder vergangen, die zu Italien geblieben war, erweiterte sich das Spektrum meiner Erfahrungen. Einmal, unterwegs in die Toskana, war ein Mann in meinem Abteil, und wir zogen die Vorhänge der Gangfenster zu, um gemeinsam zu liegen und ein wenig zu küssen.

Ich kam mir wahnsinnig kühn und selbstbestimmt vor, Tinder war ja noch lange nicht erfunden. Ein andermal, unterwegs nach Venedig, wachte ich morgens auf, und mein kleiner Rucksack war geklaut. Geld und Pass trug ich in einem Bauchgurt unter dem T-Shirt, aber das Tagebuch, Adressen, mein Lieblingsfüller, der Kulturbeutel – einfach weg. Mein naives Vertrauen in den Nachtzug erschütterte das nicht. Wenn ich heute im ICE eindöse, wenn mich dieses sanfte Surren umfängt und Freiheit und Geborgenheit zu einem Traum verschmelzen, verzeihe ich der Deutschen Bahn selbst ihre bescheuerten Schalensitze. (sha.)

Gute Nacht, Mama: Schlafwagen der Bundesbahn in den 50er-Jahren


Gute Nacht, Mama: Schlafwagen der Bundesbahn in den 50er-Jahren
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Bild: dpa

Herrliches Geratter und Geschüttel

Alfred Polgar hat Nachtzug-Reisende in zwei Gruppen unterteilt: Die einen schlafen besser, wenn der Zug fährt, die anderen, wenn er steht. Auf Zehenspitzen, schrieb er, nähere sich der Schlaf: „Aber das Rattern des Zuges ­verscheucht ihn wieder.“ Mir ging es genau andersherum. War der Zug in Bewegung, fühlte ich mich in den Schlaf geschaukelt, hielt er an einem Bahnhof, war ich hellwach. Und der Nachtzug von Frankfurt nach Warschau hielt an ziemlich vielen Bahnhöfen und dort ziemlich lange. Ein schlimmes „Geratter und Geschüttel“ wie einst der arme Polgar haben wir nicht erlebt, eine Zeitreise war unsere nächtliche Fahrt trotzdem.

Zug und Personal waren russisch, die Schaffnerin sprach keine andere Sprache, ihre robuste Natur aber erwies sich als für die Situation goldrichtig: Mit einem zielgerichteten Gewaltgriff gelang es ihr, die verklemmte Pritsche in unserem Abteil auszuklappen und die Sorge zu zerstreuen, einer müsste stehen. Ganz wohl war mir dennoch nicht dabei, ihr über Nacht unsere Pässe und Tickets zu überlassen. Es ging aber alles gut, die Kinder fanden es aufregend und abenteuerlich und waren am Morgen in Warschau völlig ausgeschlafen. Im Gegensatz zu mir; die Haltestellen und das Bemühen, das Kleinkind neben mir nicht zu zerdrücken, waren doch etwas viel. Grundsätzlich aber liebe ich Nachtzugfahrten, so wie das Wäschewaschen in der Maschine meine liebste Hausarbeit ist: Man kommt voran, muss aber selbst gar nichts machen. (jöt.)

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