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#Isa Genzken in der Neuen Nationalgalerie in Berlin

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Die Schaufensterpuppe ist ein Kind. Es trägt ein dunkelblaues Hemd, das mit Silberfarbe besprüht, mit Flecken von gelber und weißer Flüssigkeit gesprenkelt und mit alten D-Mark-Münzen beklebt ist. Eine weiße Schaumstoffmaske, die nur Augen und Nase frei lässt, bedeckt den oberen Teil des Gesichts. Der Kopf ist mit durchsichtiger Plastikfolie überzogen; an die Stirn ist das Foto einer lächelnden Frau vor den Häusern von New York angeklammert. Es zeigt Isa Genzken.

In der Besucherbroschüre zu der Ausstellung, die die Neue Nationalgalerie in Berlin zum fünfundsiebzigsten Geburtstag von Isa Genzken eingerichtet hat, ist sehr oft die Rede davon, dass die Künstlerin diese oder jene ihrer Arbeiten „schuf“. Das Wort, das der Vorstellungswelt des neunzehnten Jahrhunderts mit seinem an Goethe und Wagner geschulten Geniebegriff entstammt, ist dem Lebenswerk Genzkens auf eklatante Weise unangemessen und zeigt zugleich, wie schwer sich die heutige Kunstbetrachtung immer noch tut, das, was sie sieht, in Worte zu fassen.

Dabei hat Genzken nie versucht, das Handgemachte und Antiauratische ihres Tuns zu verbergen. In einer ihrer Assemblagen stehen acht Schnapsgläser auf einem Serviertablett in der untersten Etage eines Rollwagens, der auf einem zweiten Rollwagen steht. Darüber erhebt sich ein Holzkubus, der mit grünen und silbernen Stoffbahnen dekoriert und mit roten und blauen Plastikstreifen umwickelt ist. Ganz oben thront eine konkave Glasvase mit einem Blumenstrauß in Rot, Weiß und Gelb.

Ihr ganz persönliches Labyrinth

Dass das 2008 entstandene Objekt „Ground Zero – Hospital“ heißt, erhöht noch seine Instabilität. Natürlich hat Isa Genzken ihre Rollwagen nicht für den Architekturwettbewerb um die Neugestaltung des Geländes des zerstörten World Trade Center eingereicht. Aber dass sie bei der Arbeit an die Toten des 11. Septembers 2001 gedacht hat, ist unübersehbar und lässt die Schnapsgläser auf dem Ta­blett auf gespenstische Weise klirren.

Die Aura, der sich Genzkens Werk seit fünfzig Jahren verweigert, wird ihm in der Berliner Retrospektive ungefragt nachgereicht. Zwischen den fünfundsiebzig Ar­bei­ten, die Klaus Biesenbach und Lisa Botti zwischen den Glaswänden des Mies-van-der-Rohe-Baus aufgestellt haben, bewegt man sich nicht wie in einer Kunstausstellung, sondern wie im Allerheiligsten eines aufgelösten Tempels. Denn Genzkens artistische Bilanz ist auch ein Resümee der Avantgardekunst nach Achtundsechzig, von den eleganten Ellipsoiden über Gips-, Beton- und Holzblöcke, steinerne Weltempfänger, hölzerne Türen und Paravents, namenlose und Namen tragende Epoxidharzstelen, kreisende Regiesessel und aufgebockte Plastikstühle, sonnenbebrillte No­fre­te­ten und Babypuppen unter zerfetzten Sonnenschirmen bis zu den geisterhaften „Schauspielern“, die Genzkens eigene Kleidung tragen.

Aus dem Frühwerk: Isa Genzkens Hyperbolo-Skulptur „Elbe“ von 1981



Bilderstrecke



Massen und Masken
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Die Welt der Isa Genzken

Der Wald der Symbole, den Baudelaire noch in der Natur fand, ist hier zum Labyrinth der Spiegelungen eines einzelnen Individuums geworden. Man spürt die Not, die entsteht, wenn Stil und Sujet keine Krücken mehr bieten für die Eigenbewegung auf dem schwankenden Terrain der Kunst. Denn Isa Genzken erfindet sich nicht nur ständig neu, sie kehrt auch immer wieder zum einst Gefundenen zurück. Ihre Werkphasen folgen nicht aufeinander, sondern laufen parallel: der „Weltempfänger“ von 1989 kehrt 2017 wieder, nur heißt er jetzt „Leonardo“; das „X“ von 1992 bildet knapp dreißig Jahre später, stark gelängt, den Sockel einer Nofretete-Büste; die Stelen der Neunzigerjahre sind zehn Jahre später „New Buildings for Berlin“.

Aber das, was in der Aufzählung diffus wirkt, erscheint in der Aufstellung in der Neuen Nationalgalerie zwingend. Die Objekte quasseln nicht durcheinander, sie bilden Gesprächsgruppen; die Puppen reden mit den Stelen, die Paravents mit den Flugzeugfenstern, die strengen Kuben aus der Zeit vor dem Mauerfall mit der bunten „Fuck the Bauhaus“-Serie des neuen Jahrtausends. Und plötzlich steht man vor ei­nem Grabmonument, denn „Wind“ von 2009 ist tatsächlich ein Denkmal für Michael Jackson, mit einem großen Jackson-Foto, einer Seitenfront aus Musik-CDs und einem Kopf mit dem ikonischen Hut und der Spiegelsonnenbrille des im selben Jahr gestorbenen Sängers. Vielleicht ist Genzkens Kunst dort am größten, wo sie die Spuren der Zeitgeschichte trägt.

Die andere, private Geschichte dieses Werks bleibt in Berlin fast unsichtbar. „Gerhard“ heißt ein eher unauffälliger Nachzügler der „Weltempfänger“-Serie der Achtzigerjahre. Ab 1973 war Isa Genzken Meisterschülerin bei Gerhard Richter an der Düsseldorfer Kunstakademie, 1982 heiratete das Paar, elf Jahre später wurde die Ehe geschieden. Aber „Gerhard“ geistert weiter durch Genzkens Vorstellungswelt, als Erinnerungs- wie auch als Gegenbild. Wo Richter seine Kunstprojekte strategisch plant und am Markt platziert, arbeitet Genzken intuitiv und eigensinnig. Ihre Assemblagen bilden eine ästhetische Gegenwelt zu den kalkulierten Meisterwerken ihres Ex-Manns. In dieser Unberechenbarkeit liegt ihre Faszination und ihre Grenze. Der Effekt von Genzkens Kunst ist heftig und direkt. Bei Richters Spätwerk stellt sich die Faszination erst langsam ein, dafür hält sie länger vor.

Draußen vor der Nationalgalerie steht eine der meterhohen roten Rosen, die Isa Genzken seit 1993 auf öffentliche Plätze stellt. Eine Ausstellung an diesem Ort hat sich die Künstlerin schon vor zwanzig Jahren gewünscht. Spät kommt die Rose von Berlin. Doch sie blüht.

Isa Genzken 75/75. Neue Nationalgalerie ­Berlin, bis zum 27. November. Kein Katalog.

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