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#Rigaer Straße 94: Was ist nur mit euch los, Genossen?

Rigaer Straße 94: Was ist nur mit euch los, Genossen?

Derzeit sorgt die Rigaer Straße 94 wieder für Schlagzeilen – die Linken mal wieder. Aber was ist denn noch links? Das weiß in diesen postideologischen Zeiten ja kaum noch jemand. Die Begriffe links und rechts sind Tendenzen, Labels, die aber ständig angepasst, umgedeutet und neu verhandelt werden. Es gibt Grünen-Politiker wie Boris Palmer, die sich wie traditionsbewusste Konservative gerieren, und halbwegs liberale Unionspolitiker, einst etwa Ilse Aigner (CSU), die die großen Internetkonzerne als Gefahr für die Demokratie erkannten und sie mittels europäischer Gesetze in die Schranken verweisen wollten.

Brennende Barrikaden auf Rigaer Straße. Foto: Imago/A. Friedrichs
Brennende Barrikaden an der Rigaer Straße 94. Foto: Imago/A. Friedrichs

Eins gab es einen festen moralischen und politischen Kompass, zumindest scheint es so, aus der Perspektive dieser unklaren Zeiten heraus betrachtet. Vermutlich war früher auch schon alles diffus und durcheinander. Aber nehmen wir mal an, es gab mal ein klares Verständnis von dem, was links und was rechts ist.

Rigaer Straße 94: Ein Symbol für alles, was links ist

In diesem Fall, denn es soll hier um das teilweise besetzte Haus in der Rigaer Straße 94 in Friedrichshain gehen, müssen wir das sogar. Denn das Haus ist ein Symbol für alles, was links ist, linksradikal gar. Es stellt sich bewusst in die Kontinuität einer rebellisch-politischen Haltung gegen den Staat als solchen. Damit ist das besetzte Haus mehr als ein Gebäude, in dem ein paar Menschen mehr oder weniger illegal leben, es ist ein Beweis dafür, dass man dem „System“ Paroli bieten kann, dass Vermieter, Polizei, Anwälte, Konzerne, Investoren nicht alles dürfen, dass sie in die Schranken gewiesen werden können und sollen.

Damit stellen sich die Besetzer in einen Kampf für eine bessere Welt. Und damit haben sie automatisch, sofern sie links sein wollen, was sie behaupten zu sein, eine Vorbildfunktion. Ihr Tun ist nicht nur ein Tun für die eigene Sache, es sollte ein Tun für „die Sache“ sein: die Verbesserung der sozialen Unterschiede, eine gerechtere Gesellschaft, die Weltrevolution, was auch immer.

Wer links ist, sollte, nein muss, stets über den Tellerrand der eigenen Bedürfnisse schauen und solidarisch mit den ausgebeuteten Klassen gegen die Unterdrücker vorgehen. Ja, das ist durchaus ein utopischer Gendanke und ein hohes Ross, auf das man sich setzt. Nach dieser Deutung gar setzen sollte.

Was ist links? Tofu statt Bratwurst?

Aber wenn es nicht dieses hohe Ross ist, was ist dann links? Ein paar Gendersternchen setzen und statt Bratwurst Tofu bestellen? Das kann es doch nicht sein. Die Besetzer sind die urbanen Guerilleros, die Berliner Tupamaros, und ganz falsch ist ihr Anliegen ja nicht. Die steigenden Mieten, Spekulation mit Wohnraum, die zuweilen menschenverachtenden Zustände auf dem Immobilienmarkt, die Großinvestoren wie Deutsche Wohnen und Vonovia, die geradezu unbeschränkte Macht über ihre Mieter zu haben scheinen, der gekippte Mietendeckel, all das zeichnet ein düsteres Bild vom Wohnungsmarkt, in Berlin, in Deutschland, in der ganzen Welt.

Sehr, sehr viele Menschen sind davon betroffen und immer mehr werden sich diese Stadt irgendwann nicht mehr leisten können. Alles eine Frage des Geldes, wer keines hat, wird verdrängt. Da hilft auch nicht der Drache der Berliner Protestsängerin Christiane Rösinger. Leider.

Folgt noch was aus trotzigen, kindischen Parolen?

Die Besetzer könnten also als das Symbol, das sie sind, diese Stimmung aufgreifen, sich für die „Sache“, die eines gerechteren Wohnungsmarktes in diesem konkreten Fall, ins Zeug werfen und als strahlende Helden eine klassenkämpferische Massenbewegung anführen, mitgestalten, initieren, irgendwas. Irgendwas, nur nicht das, was sie seit Jahren tun. Die Leute im besetzten Haus rufen: „Ihr kriegt uns hier nicht raus!“ – das wussten schon die Ton Steine Scherben. Aber dabei hat es sich dann, mehr folgt der trotzigen, aber irgendwie auch kindischen Parole nicht?

Die Rigaer 94 ist unsympathisch, sie ist im Friedrichshainer Kiez unbeliebt, die Besetzer haben kaum Kontakt zu der „normalen“ Nachbarschaft, und wenn, dann ist er von Gewalt und Drohungen geprägt. Damit schafft man keine Bündnisse, damit entstehen keine Netzwerke, geschweige denn ein Wandel. Wenn die Besetzer die Polizei angreifen, es zu Verletzungen kommt, wenn sie sich verbarrikadieren und hasserfüllt um sich schlagen, wenn die Straße wie ein Kriegsgebiet aussieht, und das einzige Ziel ist, drin zu bleiben. Wenn all das passiert, dann fällt es einem selbst schwer, auch wenn das Herz sehr wohl links schlägt, sich mit dieser „Sache“ gemein zu machen.

Die Leute aus der Rigaer 94 schauen auch nur bis zum Fensterbrett

Die Leute aus der Rigaer Straße 94 machen es einem nahezu unmöglich, mit ihnen zu sympathisieren. Sie sind borniert und aggressiv und letztlich verfolgen sie eben nicht nur die große gemeinsame Sache, sondern eigene Interessen. Sie schauen nicht weiter als bis zum Fensterbrett, um dann einen Ziegelstein auf die Polizei fallen zu lassen. Manche Berliner Lokalpolitiker versuchen, vermutlich aus alter linker Gesinnung heraus, sich trotz alledem, der „Sache“ der Besetzer beiseite zu stellen. Es ist schwer nachvollziehbar.

Ob dieses aufgeheizte Katz-und-Maus-Spiel zwischen Polizei und Besetzern noch drei Tage, drei Monate oder 30 Jahre gehen wird, ist im Prinzip egal. Es wird nichts daraus folgen, die Besetzer sind weder Helden noch Vorbilder, sie werden keine Mitstreiter finden außer dem kleinen, hermetisch abgeschirmten Insiderkreis. Das ähnelt eher den Strukturen einer Sekte als denen einer sozialen Reformbewegung. Links zu sein ist schwer in diesen Zeiten, vermutlich auch für die Leute aus der Rigaer Straße. Aber was links ist, weiß eben auch niemand mehr so genau.


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Linke Stadtgeschichte in Bildern: Besetzte Häuser in Berlin. Das Foto aus dem Schöneberg der 1980er-Jahre lag ewig in unserem Archiv. Wir haben uns auf die Suche nach der Hausbesetzerin mit Katze gemacht. 1990 war Kiezkrieg: Wir blicken zurück auf die Räumung der Mainzer Straße.

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