#Frisierte Lebensläufe: Giffey, Baerbock, Guttenberg
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„Frisierte Lebensläufe: Giffey, Baerbock, Guttenberg“
Das Zeitalter der bescheidenen Zurückhaltung ist ganz offensichtlich vorbei. Stattdessen scheint ein Wettbewerb der aufgehübschten Lebensläufe und biographischen Aufschneidereien ausgebrochen zu sein. Das gilt für verschiedene gesellschaftliche Bereiche, sowohl für die Wissenschaft als auch für die Politik. Spätestens seit der Exzellenzinitiative und deren Antragsanforderungen ist das Prahlen ausgerechnet in einem System salonfähig geworden, in dem Selbstzweifel und Selbstkritik zum Erkenntnisprinzip gehören.
Für Politiker sind die akademischen Statussymbole wie ein Doktorgrad auch dann attraktiv, wenn sie sonst bestrebt sind, die eigene Volksnähe zu beweisen. Das gilt etwa für die zurückgetretene Familienministerin Franziska Giffey. Der Doktorgrad verhalf ihr in einer frühen Lebensphase dazu, den Fachhochschulabschluss zu vergolden und ein soziales Distinktionsmerkmal zu schaffen. Im Amt der Familienministerin meinte sie auf derlei akademischen Tand nicht mehr angewiesen zu sein und hielt es für angemessen, ihn im Laufe der Plagiatsaffäre einfach wegzuwerfen. Und ausgerechnet diejenigen, die früher mit spitzen Fingern auf die Autoren vermurkster Dissertationen mit „summa“ oder „magna cum laude“ gezeigt hatten, bescheinigten Giffey für ihr wahltaktisches Manöver besondere Glaubwürdigkeit.
Hohe Messlatte einer eigenständigen Leistung gerissen
Doch die Glaubwürdigkeit leidet massiv. Zum einen geht es um die Glaubwürdigkeit eines Wissenschaftssystems, das akademisch unzureichende Doktorarbeiten nicht immer erkennt und die hohe Messlatte der eigenständigen wissenschaftlichen Leistung längst gerissen hat. Allein die hohe Zahl mehrerer Zehntausend Doktoranden im Jahr zeigt, dass es längst um Masse statt Klasse geht.
Kein „wissenschaftlicher Assistent“: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) 2011 im Bundestag
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Bild: dpa
Wissenschaftlicher Betrug verhöhnt diejenigen, die Jahre ihres Lebens für eine ehrliche und eigenständige Dissertation investiert und manchmal sogar Wissenschaftsgeschichte geschrieben haben. Dass seit Neuestem Plagiate auch im Kanzleramt bagatellisiert werden, zeigt allerdings, wie sehr die Maßstäbe verrutscht sind. Bei einer Kanzlerin mit echtem wissenschaftlichen Verständnis wundert das sehr. Doch sie hatte schon bei zu Guttenberg darauf verwiesen, keinen wissenschaftlichen Assistenten im Kabinett beschäftigt zu haben. Dabei dürfte es zu den persönlichen Erfolgen Merkels als Politikerin beigetragen haben, dass sie nie anfällig war für Hochstapeleien und mehr Schein als Sein.
Frisierte Lebensläufe mit reichlich Selbstanpreisung
Auch für die Hochschulen selbst darf der Fall Giffey nicht ohne Folgen bleiben. Doktorandenbetreuer müssen künftig öfter den Mut haben, Doktoranden abzulehnen, bei denen sie den begründeten Eindruck gewonnen haben, dass es nur um Prestige-grade geht, nicht um echtes wissenschaftliches Interesse. Damit tun sie sich seit Jahren schwer. Nicht immer steht schon zu Beginn einer Doktorarbeit fest, ob sich daraus etwas Vielsagendes entwickelt oder nicht, es gibt Überraschungen in beide Richtungen.
Zum anderen geht es um die Glaubwürdigkeit einer Gesellschaft mit aufgedonnerten Stellenanzeigen, die frisierte Lebensläufe mit reichlich Selbstanpreisung geradezu provozieren. Warum eigentlich gab Giffey schon früh in einem Lebenslauf ein Praktikum als Beschäftigung aus, weil es mehr hermachte? Auch Karl-Theodor zu Guttenberg hatte Praktika in seiner Vita als Stationen in Frankfurt und New York angegeben. Warum meinte Annalena Baerbock neben den anderen peinlichen Nachlässigkeiten mit ihrem Lebenslauf nach einem Master als einzigem juristischen Abschluss davon reden zu müssen, sie komme vom Völkerrecht her?
Personaler sortieren solche Lebensläufe aus
Das sind Übertreibungen an der Grenze zu Fake News. Die Versuchung ist groß, hier und dort etwas hinzuzufügen und zu polieren. Aber bei Bewerbungen rächen sich die kleinen Lügen sofort. Personaler sortieren solche frisierten Lebensläufe aus, 71 Prozent berichten von derartigen Entscheidungen. Die sozialen Netzwerke machen es ihnen leicht, die Halbwahrheiten zu entlarven. Manchmal stimmen nicht einmal die Daten in Lebensläufen mit beigelegten Arbeitszeugnissen überein.
Mehr scheinen zu wollen, als man ist, gehört schlicht zu den narzisstischen Spielarten des Individualismus. Weil Macht gerade für so geprägte Menschen mit einer Selbstwerterhöhung und mit enormen narzisstischen Gratifikationen verbunden ist, reagiert die Öffentlichkeit besonders empfindlich auf frisierte Lebensläufe und plagiierte Doktorarbeiten von Politikern. Denn sie befürchtet zu Recht, dass auch die Macht eines politischen Amtes in erster Linie der Selbsterhöhung dienen könnte und nicht der Allgemeinheit.
Weil es um Glaubwürdigkeit sowohl im Wissenschaftssystem als auch im politischen System geht, sind weder unredliche Dissertationen noch frisierte Lebensläufe Bagatellen. Wer in der freien Wirtschaft seinen Lebenslauf fälscht, riskiert die fristlose Kündigung. In der Politik und in der Wissenschaft bringt er sich um das kostbarste Gut überhaupt: um das Vertrauen.
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