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Das Parfum

Der Duft meiner „Omma“

Ausgerechnet in dem Jahr, in dem ich als Erstsemesterstudentin in die Großstadt gezogen war, zog meine Oma nach Meppen, in ihre erste eigene Wohnung. Meine Heimatbesuche häuften sich dadurch noch mehr, bei Oma konnte ich mich mittags auch nach langem Schlaf noch melden, und sie sagte: „Komm doch zum Essen“, und dann gab es entweder himmlische Frikadellen oder kleine, panierte Schnitzel, die bei ihren Enkelkindern so beliebt waren, dass sie eigentlich immer eines in Alufolie gewickelt in ihrer Handtasche mit sich herumtrug und bei den seltsamsten Gelegenheiten verschwörerisch fragte: „Willst du ein Schnitzel?“ Wir wollten übrigens immer. Mein Oppa war kein strenger Opa, wohl aber ein strenger Ehemann, und für meine Omma, die das Ruhrgebiet nie verlassen hatte und auch ihren Slang nie verlernte (sie war immer „die Omma“), begann in Meppen eine neue Zeitrechnung: Sie ging mit ihren Freundinnen essen, ins Café, spielte Bingo, sie machten Tagestrips auf die Nordseeinseln und aßen Krabben vom Kutter. Meine Omma gönnte sich plötzlich luxuriöse Sachen. Und man durfte ihr auch luxuriöse Dinge schenken. So änderte sie auch ihren Duft: Chanel Nº 5. Wenn ich meine Nase an ihren Hals steckte, schnupperte ich und roch diesen wohlbekannten Duft, meine Mutter hatte ihn auch eine Zeit lang getragen, ihn aber wieder gewechselt, weil er ihr zu schwer geworden war. Meine Omma war keine gebildete Frau, das lag am Krieg, an den Umständen, am Frausein. Sie hatte kurz als Schuhverkäuferin gearbeitet und war sonst ein Leben lang Hausfrau, doch reden konnte man mit ihr so richtig gut. Über Gott (es war für sie in Ordnung, dass ich keinen habe), über das Studium (sie wollte alles wissen, auch wenn sie vieles nicht kannte), ich gab ihr erste Geschichten zu lesen (keinem anderen hätte ich die anvertraut) und über die Liebe (sie wusste bei meinem jetzigen Freund gleich, dass er der Richtige für mich war, genau wie sie es bei meinem Oppa sofort gewusst hatte). Als meine Oma starb, hatte meine Mutter ihr Chanel Nº 5 in der Hand. Sie konnte es nicht nehmen, also gab sie es mir. Das Parfum roch nach Omma, ich trug es so gut wie nie, aber manchmal nahm ich die Flasche in die Hand und schnupperte. Es roch nach dem Luxus, den meine Oma sich spät in ihrem Leben gönnen durfte. Es roch nach der ersten eigenen Wohnung meiner Oma. Es roch nach Verlust. Johanna Dürrholz

Gegen die  Nachwendedepression

Chanel Nº 5 wird immer mit Trang verbunden sein. An  das Pröbchen war ihre Schwester in der Luxusparfümerie der brandenburgischen Kleinstadt gekommen, in der wir zur Schule gingen. Im Chemieunterricht, während die anderen sich vorsichtig über blubbernde Kolben beugten, schnupperten wir an dem Röhrchen. Was daraus entstieg, war anders als alles, was sich in den Regalen der Drogerien befand, durch die wir sonst schlenderten. Es war weich, aber strahlend, warm, aber nicht süß. Bei unserer Ignoranz gegenüber dem Unterricht entging uns die Ironie, dass die Aldehyde, die uns da in die Nase stiegen, höchster Chemiekunst entsprangen. Das Parfum wurde für uns der Heilige Gral unter den Düften, es roch nach Luxus und Großstadt und Unabhängigkeit, nach allem, wovon wir zwischen Nachwendedepression und Arbeitslosigkeit nur träumen konnten. Trang zog in der  neunten Klasse mit ihrer Familie in den Westen. Am letzten Tag überließ sie mir das Parfumpröbchen. Es ging irgendwann im Rucksack kaputt, und meine Stifte dufteten wochenlang nach Ylang-Ylang und Iris, ich hätte gern darin gebadet. Jahre später war ich für ein Interview in Paris, hatte ein paar Stunden, bis der Zug zurückging, und kaufte mir den Duft in einer Flasche. Es war als Trophäe gedacht, als Zeichen, die Nachwendedepression überwunden zu haben. Es wurde mein Winterduft, der nun mit dem Bild der verschneiten Dächer im Marais und der glitzernden Lichter der Champs-Élysées verbunden ist. Wie die Aldehyde auch nach hundert Jahren noch so modern riechen können, bleibt Chanels Rätsel. Ich hoffe, Trang hat auch eine Flasche in ihrem Bad stehen. Maria Wiesner

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