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#Schmuckstück der Aufklärung

Schmuckstück der Aufklärung

Der Historiker Samuel Moyn hat die Menschenrechtsidee einmal als minimalistische Utopie bezeichnet, die aus den Ruinen der totalitären Ideologien hervorging. Nach Moyn knüpft sie nicht direkt an die französische Aufklärung an, die individuelle Rechte dem Nationalstaat unterordnete. Erst in den siebziger Jahren formierte sie sich zur globalen Bewegung und nahm besonders über die Vereinten Nationen Einfluss auf die internationale Rechtsprechung.

Thomas Thiel

Seither werden individuelle Rechte auch gegen Staaten verteidigt. Trotz aller Emphase bleiben die Menschenrechte aber eine fragile Utopie. Nationen und Verbände instrumentalisieren sie für ihre Zwecke, Religionen schreiben sie sich auf die Fahnen oder verweigern sie. Die staatlichen Verfassungen müssen die Spannungen austarieren, die sich zwischen religiösen, staatlichen und individuellen Ansprüchen ergeben. Die damit verbundenen Konflikte prägen die öffentliche Debatte.

Weltweit Protest und Verwunderung hervorgerufen

Am Lichtenberg-Kolleg der Universität Göttingen befasst sich eine Forschungsgruppe mit dieser Konstellation. Sie baut auf am Kolleg betriebene Studien zur historischen Aufklärung auf, die auch untersuchen, welche Maßstäbe die Aufklärung weltweit gesetzt hat und welche Verbrechen in ihrem Namen begangen wurden. Eine Geisteswissenschaft, die Problembewusstsein, Gegenwartsbezug und historische Tiefe derart kombiniert, wird sich jede Universität wünschen.

Jede? Das Universitätspräsidium will das Kolleg zum September 2021 schließen. Nach dem Scheitern der Exzellenzbewerbung und der bis heute andauernden Führungskrise nach der gescheiterten Präsidentenwahl ist die Universität unter Druck geraten. Dazu hat das Landesministerium die Hochschuletats zu Jahresbeginn deutlich gekürzt und auch für 2021 eine weitere Sparrunde angekündigt. Das Interimspräsidium um Reinhard Jahn muss jetzt entscheiden, was mit den Instituten geschieht, die mit den Exzellenzmillionen aufgebaut wurden, ohne langfristige Prioritäten setzen zu können. Eines der Sparopfer soll das Lichtenberg-Kolleg sein, das 2009 unter anderem mit Exzellenzgeldern ins Leben gerufen wurde.

Die weitgehend diskussionslos gefällte Entscheidung hat weltweit Protest und Verwunderung hervorgerufen. Institute für fortgeschrittene Studien sind Sehnsuchtsorte für bürokratiegeplagte Wissenschaftler. Im Unterschied zu vergleichbaren Instituten hat das Lichtenberg-Kolleg auch junge Wissenschaftler zu mehrjährigen Forschungsaufenthalten nach Göttingen geholt und über Jahre hinweg ein dichtes Netzwerk besonders nach Israel aufgebaut. Da die jungen Wissenschaftler deutschsprachige Literatur kaum noch zur Kenntnis nehmen, ist das Kolleg ein Bindeglied für eine Geisteswissenschaft, die den internationalen Anschluss zu verlieren droht.

Zur Disposition steht nach den Worten des britischen Beiratsmitglieds Ivan Gaskell ein „Leuchtturm der Aufklärung“. Göttingen, das im achtzehnten Jahrhundert eine weltweit imitierte Modelluniversität war und noch im neunzehnten Jahrhundert wissenschaftliche Pilgerströme aus den Vereinigten Staaten anzog, ist zumindest für die Erforschung der historischen Aufklärung noch heute ein Magnet. Die Universität beherbergt wichtige Quellen und Sammlungen aus dieser Zeit. Das Kolleg ist damit eine Brücke zu den ruhmvollen Tagen der Universität.

Schließungsgründe rein finanzieller Natur

Nicht zuletzt ist es eines der schönsten Institute. Es logiert in der ehemaligen Arbeitsstätte von Carl Friedrich Gauß, der Königlichen Sternwarte, die in den Jahren 1803 bis 1816 nach Entwürfen des Universitätsbaumeisters Georg Heinrich Borheck entstand. Das Gebäude wird als maßstabsetzend in Bequemlichkeit, Festigkeit und Schönheit gelobt. Da nach dem Gründungszweck die historische Konstruktion die erschütterungsfreie Aufstellung physikalischer Messgeräte gewährleisten sollte, bietet es ein ideales Refugium für konzentrierte Studien.

Verloren gingen mit der Schließung auch die am Kolleg angesiedelten Modernen Jüdischen Studien. Institutsdirektor Martin van Gelderen arbeitet an einer wissenschaftlichen Edition der Tagebücher von Anne Frank. Sie soll die Verzerrungen beseitigen, die durch die fehlerhafte Übertragung der niederländischen Urschrift entstanden sind und in mehrere Sprachen übersetzt werden. Ob und wie das Projekt ohne den Rückhalt des Instituts beendet werden kann, weiß heute niemand.

Das Präsidium führt rein finanzielle Gründe für die geplante Schließung an. Das auf rund 400.000 Euro geschätzte jährliche Sparpotential ist allerdings bescheiden. Die definitive Entscheidung liegt beim Senat und Stiftungsrat der Universität.

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