#Schon vor der Geburt zum Kinderarzt?
„Schon vor der Geburt zum Kinderarzt?“
Herr Lang, Sie nehmen als Kinder- und Jugendarzt mit Ihrer pädiatrischen Praxis in Augsburg an einem Pilotprojekt in Bayern teil, das sich „U0“ nennt. Der Name lehnt sich an die bekannten U-Untersuchungen bei Kindern an. Was verbirgt sich dahinter?
Ich bin seit 25 Jahren niedergelassener Kinderarzt und stelle immer wieder fest, wie wichtig das erste Kennenlernen der frischgebackenen Eltern ist und wie viele Fragen sich diesen Eltern, gerade wenn sie das erste Kind bekommen, stellen. Sie müssen sich in ihrer neuen Rolle finden und werden bei den ersten Vorsorgeuntersuchen mit vielen Informationen zur Gesundheit und Pflege ihres Babys überhäuft. In den ersten Wochen nach der Geburt haben sie oft gar keine Kapazitäten, über bestimmte Dinge länger nachzudenken. Aus dieser Erfahrung heraus kam die Idee auf, Themen, die die Prophylaxe betreffen, mit den Eltern schon vor der Geburt zu besprechen. Dann haben sie genügend Zeit, sich Gedanken zu machen.
Um welche Themen geht es da genau?
Es geht um Fragen zur Impfung, Unfallvermeidung, Vitamin-D-Prophylaxe, aber auch um die Dinge, mit denen viele Familien noch in der Klinik nach der Geburt zu tun bekommen, und über die sie dort oft schlecht aufgeklärt werden. Das sind Themen rund um das Neugeborenen-Screening, den Hörtest, Sauerstoffmessung, Vitamin-K-Gabe und den Stoffwechseltest. Aber, und das ist mir wichtig zu sagen, ich gehe in diese U0-Gespräche auch immer mit der offenen Frage an die Eltern heran: Was beschäftigt Sie sonst noch? Und das ist individuell natürlich sehr unterschiedlich.
Geht es bei den Gesprächen auch um psychische Komponenten, also etwa die Frage, wie man als Mutter mit der neuen Rolle umgeht?
Das ist auch mal Thema. Ich drücke diese Themen aber nicht auf, weil die Familien sehr unterschiedlich mit der neuen Elternzeit umgehen. Manche Mütter nehmen ihre Rolle positiv auf, manche geraten unter Stress. Prinzipiell ist die U0 erst einmal darauf angelegt, allgemein gültige Prophylaxe-Themen zu besprechen, damit anschließend, wenn das Kind da ist, ausführlich jene Dinge besprochen werden können, die die Eltern dann aktuell beschäftigen und vielleicht verunsichern: Schreien, Schlafen, Stillen.
Richtet sich dieses U0-Projekt nur an Erstgebärende?
Auch Eltern, die schon Kinder haben, dürfen dieses Angebot natürlich annehmen, aber besonders sinnvoll und effizient ist es für Eltern, die ihr erstes Kind erwarten.
Sie haben nun schon einige U0-Untersuchungen durchgeführt, wie ist Ihre Erfahrung?
Sehr gut. Vor allem klappt das Kennenlernen der Eltern viel besser. Mir ist es sehr wichtig, ein Vertrauensverhältnis zu ihnen aufzubauen. Wenn man sich erst bei der U3 kennenlernt, also wenn das Kind wenige Wochen alt ist, dann müssen so viele Fragen abgearbeitet werden, dass kaum Zeit ist, Vertrauen und Empathie aufzubauen. Durch die U0 ist das jetzt viel entspannter. Arzt und Eltern kennen sich schon vor der Entbindung, und wenn das Kind auf der Welt ist, kann man sich voll auf die praktischen Fragen des Alltags konzentrieren. Also genau so, wie es eigentlich sein soll.
Wie erfahren werdende Eltern von dem Pilotprojekt?
Wir haben das Projekt gemeinsam mit den Frauenärzten gestartet. Die Idee ist, dass die Frauenärzte ihre Patientinnen im letzten Schwangerschaftsdrittel über die Möglichkeit der U0-Untersuchung informieren.
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Wie lange läuft das Projekt noch?
Das Projekt ist auf 800 U0-Untersuchungen in Bayern angelegt. Es ist im Juli gestartet. Ich rechne damit, dass die 800 Untersuchungen etwa nach einem Jahr abgeschlossen sind. Die teilnehmenden Eltern werden dazu befragt, dann wird ausgewertet. Die Ergebnisse werden natürlich veröffentlicht.
Erhoffen Sie sich, dass U0 bald hierzulande zur Regelversorgung gehört?
Wie gesagt, meine ersten Erfahrungen sind sehr positiv und ebenso die Rückmeldungen der Eltern. Wenn wir durch das Einführen dieser Untersuchung dazu beitragen, dass Mütter und Väter aufgeklärter und selbstbewusster in die Elternschaft starten, dann halte ich es für sehr sinnvoll, die U0 als generelles Angebot nach dem Pilotprojekt einzuführen.
Dr. Martin Lang ist Kinder- und Jugendarzt und hat eine pädiatrische Praxis in Augsburg.
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