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#Schwieriger Spagat im Turnen

„Schwieriger Spagat im Turnen“

„Wenn Turnen einfach wäre, würde es Fußball heißen.“ Den beliebten Turnerspruch zitierte zuletzt Bundestrainer Gerben Wiersma, als es um die Frage ging, ob er die verbleibende Trainingszeit bis zur anstehenden Weltmeisterschaft für die Perfektionierung der bereits beherrschten Übungselemente oder für die Aufstockung der Schwierigkeitsnote, also das Üben neuer Elemente, zu nutzen gedenke.

Ein aktuelles Beispiel: Emma Malewski qualifizierte sich mit ihrer Balkenübung, für die sie bei einer Schwierigkeit von 5,2 Punkten vom Kampfgericht 8,3 Punkte in der Ausführung erhielt, als Zweitplatzierte für das Finale am Schwebebalken der Europameisterschaft in München. Die Italienerin Angela Andreoli turnte eine sehr schwierige Übung (6,1), patzte allerdings: Ausführungsnote 6,566, Endergebnis Rang 21. Ihre Teamkolleginnen turnten ebenfalls schwierig und patzten nicht, weshalb Italien als Favorit in das an diesem Samstag stattfindende Teamfinale geht, für das sich Deutschland als Viertplatzierter qualifizierte.

Warum das Ganze?

Zwischen der Europameisterschaft und der Weltmeisterschaft in Liverpool liegen nur zehn Wochen, und zum ersten Mal in der Turngeschichte ist erstere Veranstaltung die Qualifikation für letztere. Der Hintergrund ist folgender: Der Internationale Turnerbund (FIG) möchte seine Weltmeisterschaften, die medial kaum Beachtung finden, attraktiver gestalten. Man unterstellt, dass es die Länge der Wettkämpfe ist, die bei den Zuschauern die Attraktivität des Turnens mindert.

Auf die Frage, wie lang ein idealer Wettkampf denn sein soll, antwortete FIG-Präsident Morinari Watanabe nach seinem Amtsantritt 2017: „unter zwei Stunden“. Um neue Wettkampfformate kümmere sich die Marketingkommission, erklärte er damals. Das hat sie offenbar getan. Das Ergebnis: Es wird nie wieder Weltmeisterschaften geben, an denen jedes Land teilnehmen kann, das über Athleten und die notwendigen finanziellen Mittel verfügt.

Bislang standen Welttitelkämpfe in der Mitte des olympischen Zyklus aller Welt offen. Die Neuerung wurde im Mai 2019 vom FIG-Rat beschlossen und nun – gut versteckt im Abschnitt 5.1.1. des Technischen Reglements 2022 – veröffentlicht und ist damit in Kraft. Dort heißt es, dass „basierend auf den Ergebnissen der kontinentalen Qualifikationen maximal je 24 Männer- und Frauenteams“ startberechtigt sind.

Im Vergleich: Bei der letzten derartigen WM 2018 gingen 46 Frauen- und 42 Männerteams an den Start, inklusive der Einzelstarter waren es 490 Aktive. In Liverpool werden es in diesem Jahr maximal 409 Athleten sein. Eine Halbierung der Anzahl von Teams, um ganze 81 Aktive „einzusparen“. Damit wird allerdings nur die Qualifikation verkürzt, jedoch kein Finalwettbewerb, und nur die sind für die Medien überhaupt von Interesse. Bleibt die Frage: Warum das Ganze?




Der Qualifikationsdurchgang am Donnerstag erhielt dadurch für viele Nationen eine ganz neue Bedeutung, denn nur die besten dreizehn europäischen Teams dürfen zur WM. Die eidgenössischen Turnerinnen zum Beispiel erwischten einen rabenschwarzen Tag am Balken, Rang 18 – Weltmeisterschaft ade. Das gleiche gilt für etliche nordeuropäische Nationen mit einer langen Turntradition, die bislang fast jede WM mit respektablen und sehenswerten Teams beschickt haben. Österreich hingegen erzielte einen historischen elften Rang und damit einen der Quotenplätze, weshalb hier der geplante Urlaub nun verschoben wird.

Für Robert Labner, den Generalsekretär des österreichischen Verbandes, ist klar, dass diese Regelung in Zukunft „unsere Chancen reduziert“. Sein Verband habe keinen Protest formuliert, weil der Beschluss aus seiner Sicht „regelkonform gefasst wurde“. Er weiß aber auch: „Es gibt eine informelle Diskussion unter den „Schwellenländern“, jedoch in seiner Wahrnehmung noch keine Widerstandsbewegung.

Die ist kaum zu erwarten, vor allem nicht von den einflussreichen Topnationen, schließlich wird sie die Regeländerung nicht betreffen. Dafür sorgt die kontinentale Quotierung, über deren Zustandekommen es keinerlei Information gibt. Der afrikanische Kontinent mit seinem 25 Turnverbänden hat genau einen Team-Quotenplatz, genauso wie Ozeanien, womit Australien faktisch gesetzt ist. In Amerika hingegen werden etliche Verbände schon aufgeben, bevor der Wettstreit um die Quotenplätze überhaupt begonnen hat, und das schlicht, weil sie die Kosten für Anreise und Unterbringung einer Delegation in Teamstärke in ihrem flächenmäßig riesigen Verband nicht aufbringen können.

Hardy Fink, der Jahrzehnte für das FIG-Programm zur weltweiten Entwicklung des Turnens verantwortlich zeichnete, nannte die Neuerung treffend „eurozentristisch“. Die langfristigen Auswirkungen sind kaum absehbar: Welcher Verband wird Geld in eine Sportart investieren, wenn die theoretische Möglichkeit, ein Team zu einer Weltmeisterschaft zu entsenden gleich null ist? Wo soll Nachwuchs herkommen, wenn es keine Vorbilder gibt?

Übrigens: Der Weltverband hat gerade eine neue Kommission mit dem wohlklingenden Titel „New and Developing Countries Support Commission“ ins Leben gerufen. Die Europameisterschaft ist für Deutschland nur ein Zwischenschritt auf dem langen Weg Richtung Paris 2024. Gerben Wiersma wird sich in den kommenden Wochen weiterhin um die Balance zwischen Schwierigkeit und Ausführung kümmern, Emma Malewski wird ihre Übung vielleicht noch aufstocken.

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