#Seegraswiesen werden zu „Kurzrasen“
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„Neptuns Wiesen“ sind in Gefahr: Im Zuge der Klimaerwärmung könnte das ökologisch wichtige Neptungras zunehmend von einer kleinwüchsigen Art aus dem Roten Meer ersetzt werden, geht aus einer Studie hervor. Den Prognosen zufolge könnte das Wasser demnach vielerorts zu warm und zu salzig für das einheimische Meeres-Gewächs werden – die invasive Art kommt damit aber gut zurecht. Der ökologische Wandel der Unterwasserflora könnte die vielen Tierarten beeinträchtigen, die von den üppigen Seegraswiesen abhängig sind, sagen die Wissenschaftler.
Wiesen, die statt vom Wind von der Wasserströmung bewegt werden: Viele küstennahe Bereiche des Meeresbodens im Mittelmeer sind von weiten Feldern aus Seegras geprägt. Diesen Unterwasserlandschaften wird große Bedeutung zugesprochen: Die Seegraswiesen spielen eine wichtige Rolle als Lebensräume und Kinderstuben für eine Vielzahl von Bewohnern des Mittelmeeres. Außerdem tragen sie zum Klimaschutz bei: Die marinen Pflanzen binden in ihrer Biomasse große Mengen Kohlenstoff, der ursprünglich aus dem CO₂ der Atmosphäre stammt. Doch wie werden die mediterranen Seegraswiesen auf die Umweltveränderungen im Zuge des Klimawandels reagieren? Dieser Frage ist nun das internationale Forschungsteam unter Leitung des Leibniz-Zentrums für Marine Tropenforschung (ZMT) in Bremen nachgegangen.
Wie werden sich die Seegras-Landschaften verändern?
Wie die Forschenden erklären, kommen im Mittelmeer insgesamt vier einheimische Seegras-Arten vor, die sich dort durch unterschiedliche Merkmale an bestimmte ökologische Nischen angepasst haben. Die dominante Spezies ist bisher allerdings Posidonia oceanica. Diese auch als Neptungras bezeichnete Unterwasserpflanze wird bis zu über einen Meter lang und prägt die großen Seegraswiesen der Küstenbereiche. Neben den einheimischen Arten macht sich allerdings auch ein invasives Gewächs im Mittelmeer breit: Die nur bis zu etwa zehn Zentimeter hohe Halophila stipulacea stammt ursprünglich aus dem Roten Meer und ist über den Suezkanal ins Mittelmeer eingewandert.
Im Rahmen ihrer Studie haben die Forschenden zunächst Informationen zu den Merkmalen, Anpassungsfähigkeiten und Toleranzgrenzen der verschiedenen Seegras-Arten gesammelt. Diese Daten kombinierten sie dann mit Prognosen zu den regional unterschiedlichen Umweltveränderungen im Mittelmeer, mit denen im Zuge des Klimawandels zu rechnen ist. Dabei kam ein Modellierungsansatz zum Einsatz, der komplexe Simulationen der biologischen und ökologischen Entwicklungsprozesse ermöglicht.
Den Kleinen gehört die Zukunft
Wie das Team berichtet, zeichnet sich in den Ergebnissen ihrer Modellsimulationen zur zukünftigen Entwicklung ein drastischer Wandel in den Seegras-Ökosystemen des Mittelmeers ab. Das bisher prägende Neptungras wird demnach mit dem weiträumig zu erwartenden Anstieg der Wassertemperaturen sowie der Salzgehalte nicht zurechtkommen. Seine Bestände werden sich deshalb vermutlich stark bis auf kühle Refugien im Nordwesten des Mittelmeeres zurückziehen.
Wo die üppigen Seegraswiesen verschwinden, wird es dann wohl bescheidener sprießen: „Wir erwarten eine Verschiebung von langlebigen, großen Arten, wie dem einheimischen Posidonia-Neptungras, hin zu kleinen und schnell wachsenden Arten wie der invasiven Halophila“, sagt Erst-Autor Pedro Beca-Carretero vom ZMT. „Posidonia ist zwar noch die häufigste Seegras-Art im Mittelmeer – doch sie ist wenig ausbreitungsfähig, wächst langsam und ist sehr stressanfällig. Halophila hingegen ist an die Bedingungen im Roten Meer angepasst, das einen hohen Salzgehalt hat und aufgrund seiner eingeschlossenen Lage in tropischen und subtropischen Regionen eines der wärmsten Meere der Welt ist“, erklärt der Wissenschaftler.
Wie die Forschenden betonen, könnte der Wandel im Bewuchs der Unterwasserlandschaften weitreichende Auswirkungen auf die Lebenswelt im Mittelmeer haben. Denn den üppigen Seegraswiesen kommt eine Schlüsselrolle im Lebenszyklus vieler Organismen zu: Sie bieten Schutz und Nahrung und bilden die Kinderstuben vieler Fische, Krebse und Mollusken. Der Verlust könnte sich demzufolge komplex auswirken. „Es ist gut möglich, dass dadurch Gesundheit und Widerstandsfähigkeit der gesamten Küstenumwelt im Mittelmeer beeinträchtigt werden. Damit sind auch Menschen wie Fischer, Gastronomen und andere betroffen, die auf diesen Küstenlebensraum angewiesen sind“, beton Beca-Carretero abschließend.
Quelle: Leibniz-Zentrums für Marine Tropenforschung, Fachartikel: Science of The Total Environment, doi: 10.1016/j.scitotenv.2023.168675
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