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#“Seit Corona wollen viele für sich eine Begrenzung des medizinisch Möglichen“



Carola Sraier berät Menschen aus ganz Schwaben. Oft geht es um den Verdacht auf einen Behandlungsfehler oder um die Patientenverfügung. Häufig können sich Menschen aber auch Zuzahlungen nicht leisten.

Frau Sraier, Sie sind Patientenberaterin für ganz Schwaben. Mit welchen Problemen kommen aktuell Menschen zu Ihnen?

Carola Sraier: Sehr viele Patientinnen und Patienten haben momentan Sorge, dass ihre Patientenverfügung und andere Vorsorgedokumente nicht mehr aktuell sind. Im Zusammenhang mit der Patientenverfügung gab es zu Jahresbeginn 2023 eine Änderung im Betreuungsrecht und Änderungen lösen immer Ängste aus.

Seit Januar gilt das sogenannte Notvertretungsrecht.

Sraier: Genau und das bedeutet, dass zumindest für ein halbes Jahr Ehepartner und eingetragene Lebenspartner sich im Notfall in gesundheitlichen Fragen ohne Verwaltungsaufwand oder Gerichtsbeschluss gegenseitig vertreten dürfen. Das ist eine große Erleichterung. Dennoch ist es wichtig, regelmäßig – empfohlen wird alle zwei Jahre – die Patientenverfügung zu überprüfen, ob alle Angaben aktuell sind. Denn oft ändern Menschen, die schwer erkrankt sind, ihre Meinung in manchen Punkten und die Dokumente sollen ja den aktuellen Stand darlegen. Wir beobachten aber generell, dass Corona noch immer in den Köpfen ist und viele jetzt die Frage umtreibt, was passiert, wenn ich in eine Klinik komme und nicht mehr selbst entscheiden kann.

Viele wollen sich also absichern.

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Sraier: Ja, seit Corona wollen viele für sich eine Begrenzung des medizinisch Möglichen. Viele wollen nun festschreiben, dass ihr Leben im Falle einer unheilbaren Erkrankung in einer bestimmten Eskalationsstufe, die unweigerlich zum Tode führt, beispielsweise nicht durch eine Magensonde oder eine künstliche Beatmung verlängert wird. Die Verantwortung für sich selbst ist durch Corona gewachsen.

Das wäre doch positiv …

Sraier: Dazu sagen möchte ich an diesem Punkt: Wir als Patientenberater – ich bin ja auch die Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft der Patientenstellen – merken auch, dass wir in Deutschland jetzt wirklich dringend endlich klare Regeln zu einem assistierten Suizid benötigen. Hier lassen wir so viele schwerstkranke Menschen einfach im Stich. Denn uns erklären wirklich so viele Menschen, dass sie ab einem bestimmten Stadium ihrer unheilbaren Erkrankung nicht mehr leben wollen. Da kann es doch nicht sein, dass wir diese Menschen nach Holland oder in die Schweiz verweisen müssen.

Es macht also generell große Angst, ein Pflegefall zu werden.

Sraier: Ja, die Sorge treibt immer mehr Menschen um. Nicht nur, weil sie nicht auf fremde Hilfe rund um die Uhr angewiesen sein wollen. Viele fürchten auch die enormen Kosten für einen Platz im Pflegeheim und wollen um jeden Preis verhindern, dass Haus und Hof verkauft werden müssen, damit ein Pflegeplatz finanziert werden kann.

Carola Sraier ist Gesundheitswissenschaftlerin und arbeitet seit 2006 als Patientenberaterin in München und Augsburg. Sie ist auch die Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft der Patientenstellen (BAGP).

Foto: Wort & Bild Verlag

Es sind also vor allem Vorsorgeprobleme, mit denen Menschen zu Ihnen kommen, oder?

Sraier: Nicht nur: Einen weiteren großen Bereich bildet der Verdacht, dass ein Behandlungsfehler passiert ist. Wir Patientenberater können nie entscheiden, ob ein Behandlungsfehler wirklich vorliegt, aber wir klären die Menschen über ihre Rechte und Möglichkeiten in so einem Fall auf, wie sie beispielsweise ein kostenloses Gutachten erhalten, welche Kosten auf sie zukommen, was Schritt für Schritt getan werden muss. Und hier geht es nicht nur, wie oft angenommen, um Probleme nach chirurgischen Eingriffen. Zu uns kommen wirklich sehr viele Menschen, die mit einem Zahnersatz versorgt wurden, der nicht passt, mit dem sie weder essen noch lachen können. Der Leidensdruck der Betroffenen ist oft extrem hoch. Ein anderes Beispiel ist der Verdacht, dass einem ein falsches Medikament in der Klinik gegeben wurde.

Und was machen Sie dann?

Sraier: Das kommt immer ganz auf den individuellen Fall an. Oft müssen wir auch deeskalieren. Denn gerade in schlimmen Verdachtsfällen, wenn vermutet wird, dass jemand schwere gesundheitliche Folgeschäden oder gar ein Angehöriger den Tod aufgrund einer ärztlichen oder pflegerischen Fehlentscheidung erleiden musste, wollen Betroffene oft einfach die Klinik und den Arzt verklagen. Aber es nützt nichts, wutentbrannt zur nächsten Polizei zu laufen und Anzeige zu erstatten. Hier gibt es Wege, sich zu wehren, und die zeigen wir auf. Viele Betroffene haben aber auch Ängste. Gerade im ländlichen Raum. Denn sie haben oft große Sorge, dass sie der betroffene Arzt nicht mehr behandelt, ein anderer aber nur in großer Entfernung zu finden ist. Oder dass sie die Klinik beim nächsten Notfall dann abweist. Das ist alles nicht so einfach und man muss immer gemeinsam schauen, wie viel jemand auf sich nehmen kann und will, um sich zu wehren.

Das heißt, oft schaffen es Betroffene gar nicht, sich zu wehren?

Sraier: Liegt ein gravierender Verdacht vor, ermutige ich schon dazu, zumindest eine schriftliche Beschwerde beispielsweise zu der zuständigen Ärztekammer zu schreiben. Denn Missstände können sonst nie abgestellt werden.

Welche Probleme treiben erkrankte Menschen noch um?

Sraier: Ein Riesenthema ist Armut. Wir haben immer häufiger Menschen in unseren Sprechstunden, die die Zuzahlungen, sei es für Medikamente oder therapeutische Behandlungen, nicht mehr bezahlen können. Ihnen helfen wir dann mit Anträgen auf eine Befreiung, denn viele wissen gar nicht, dass sie die Kosten bei ihrer Krankenversicherung einreichen können.

Sind es vor allem ältere Menschen, die zu Ihnen kommen?

Sraier: Die meisten Menschen, die zu uns kommen, sind 45 plus, die größte Gruppe sind Rentnerinnen und Rentner. Aber mit zunehmendem Alter nehmen eben auch Arztbesuche und Behandlungen in Kliniken zu. Bei den Erwerbstätigen geht es häufig um die Absicherung im Krankheitsfall oder um Hilfe beim Erstellen eines Reha-Antrags.

Aber auch für Sie kommt eine Änderung. Die bundesweite Patientenberatung soll umstrukturiert werden. Deutschland richtet eine Stiftung ein, die unabhängig von wirtschaftlichen Interessen agieren soll. Ist Ihre Unabhängigkeit nicht gefährdet, wenn jetzt doch der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen die Finanzierung übernehmen soll?

Sraier: Wir sind über die Pläne sehr unglücklich. Seit Jahren haben wir nun für eine unabhängigere Finanzierung auf Basis von Steuermitteln gekämpft. Doch Bundesfinanzminister Lindner wehrt sich dagegen. Dabei ist unsere Unabhängigkeit das A und O. Auch setzen wir uns für ein flächendeckendes Netz von regionalen Patientenberatungsstellen ein. Die 15 Millionen, die die GKV und die privaten Krankenversicherungsunternehmen der Stiftung ab 2024 jährlich zuweisen sollen, hören sich nach viel Geld an. Doch damit wären bundesweit nur 30 Patientenberatungsstellen finanziert, zwei für jedes Bundesland, das sind zu wenige.

Ihr Beratungsbüro für ganz Schwaben ist in Augsburg. Haben Sie eigentlich Wartelisten?

Sraier: Nein, wir bekommen das hin. Jeder, der eine Frage hat, kann anrufen und einen Termin vereinbaren. Viele wissen auch nicht, an wen sie sich mit ihrem Problem wenden können, schließlich haben wir einen ganz schönen Beratungsdschungel in Deutschland. Da sehen wir uns auch als Wegweiser für Patientinnen und Patienten.

Info und Kontakt: Die unabhängige Patientenberatung für Schwaben befindet sich in den Räumen des Sozialverbands VdK in Augsburg, Telefon: 0821/209 203 71; E-Mail: [email protected]; Sprechzeiten sind montags von 9 bis 12 Uhr und mittwochs von 13 bis 16 Uhr; Träger der Anlaufstelle sind der Gesundheitsladen München e.V. und der VdK Bezirk Schwaben. Die Finanzmittel steuert das bayerische Gesundheitsministerium bei.

Zur Person: Carola Sraier, 45, ist Gesundheitswissenschaftlerin und arbeitet seit 2006 als Patientenberaterin in München und Augsburg. Sie ist auch die Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft der Patientenstellen (BAGP).

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