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#Sie liebt Frauen – und Allah

Sie liebt Frauen – und Allah

Lisa ist lesbisch, Feministin und Muslima. Erst wusste sie nicht, wie das zusammengehen soll – bis sie auf einen schwulen Imam traf.

Lisa Osmann war etwa 15 Jahre alt, als zwei wichtige Dinge in ihr Leben kamen: die Liebe und die Religion. Die Liebe, das war die Liebe zu Mädchen und Frauen und die Religion, das war der Islam und nicht das Christentum, obwohl Lisa katholisch getauft ist. Von beiden Entdeckungen wusste Lisa, dass sie entscheidend für ihr Leben sein würden. Nur wusste sie erst nicht, wie das zusammengehen sollte: Gleichzeitig lesbisch und Muslima zu sein.

Heute ist Lisa Osmann 29 Jahre alt, blondierte Haare, Zopf. Wenn sie spricht, dann lacht sie oft, und Lisa spricht viel und gerne. Sie ist Polizeikommissarin und arbeitet in Köln. Und sie ist vollkommen mit sich, ihrem Glauben und ihrem Leben als lesbische Frau und als Feministin im Reinen. Auch wenn der Weg dorthin nicht ganz einfach war.

Geboren ist Lisa im bayerischen Günzburg, so erzählt sie an einem schönen Montagnachmittag, nachdem sie lange geschlafen hatte, weil sie in der Nacht in Köln auf Streife war. Der Vater, ein Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, arbeitete damals Anfang der 1990er-Jahre im Bezirkskrankenhaus, die Mutter war Hausfrau. Beide waren Katholiken, auch wenn sie nicht oft in die Kirche gingen. Der Vater, sagt Lisa, glaubt eher an die Wissenschaft. Dennoch ließen die Eltern Lisa und deren ältere Schwester taufen. „Das macht man in Bayern einfach so“, sagt Lisa.

Dass Lisa schließlich zum Islam gefunden hat, hat nicht zuletzt mit ihrem Großvater zu tun. Der war nach Ende des Zweiten Weltkriegs aus Istanbul ins Allgäu gekommen, und hat dort einen Stoffhandel betrieben. Lisas Großvater war Muslim. Allerdings heiratete er eine Deutsche, gab seinen Kindern deutsche Vornamen und ließ seine Kinder katholisch taufen, auch Lisas Vater. „Mein Opa“, sagt Lisa, „wollte einfach, dass die Familie sich vollständig integriert.“ Auch Lisas Vater heiratete schließlich eine Deutsche und änderte sogar den Familiennamen, von Osman in Osmann. „Er dachte, das klingt weniger fremd“, sagt Lisa. Sie konnte das nie verstehen.

Eine Rebellion gegen den Vater

Als Jugendliche begann sie, sich mit ihrer Herkunft auseinanderzusetzen. Ihr Vater hatte dafür kein Verständnis. Als sie einmal beim Joggen das Trikot der türkischen Nationalmannschaft trug, fragte er sie ganz aufgeregt, was sie da mache. Sie begann, Türkisch zu lernen und mit 18 Jahren flog sie in den Ferien alleine nach Istanbul zu Verwandten des Großvaters. Heute bezeichnet sie das als eine Art Rebellion gegen ihren Vater.

Obwohl bereits ihr Vater in Deutschland geboren wurde und auch ihre Mutter Deutsche ist, schlug schließlich das spirituelle Erbe des muslimischen Großvaters wieder durch. Es gab da eine Verbindung, die Lisa immer spürte. Und der Islam war ja auch immer irgendwie präsent.

Im Koran steht: Allah ist dir näher als dein eigener Pulsschlag.

Lisa

Als Kind war Lisa oft in der Türkei, wo der Großvater ein Haus hatte, in der Schule hatte sie Freundinnen aus türkisch-muslimischen Haushalten, und als sie nach der Trennung ihrer Eltern mit ihrer Mutter nach Laichingen auf der Schwäbischen Alb gezogen war, wohnte sie neben einer Moschee. Wenn sie freitags im Garten saß, hörte sie, wie der Imam vorbetete. „Ein angenehmes, ein vertrautes Gefühl“, sagt sie.

Aber da war eben irgendwann auch dieses andere Gefühl: Sie spürte es, wenn sie andere Mädchen anschaute. Eines aus ihrer Klasse mochte sie damals besonders gerne, sie wollte seine beste Freundin und ihm nahe sein. Dabei dachte sie eigentlich, nur Jungs könnten Mädchen auf diese Weise mögen. Bis sie eines Abends bei einem Abiball aushelfen musste. Damals war sie 13 Jahre alt, schätzt Lisa heute. Sie sah zwei Frauen, die zusammen tanzten und sich küssten. „Das war ein richtiges Schlüsselerlebnis“, sagt sie. Wenige Tage danach ging sie nach der Schule zu ihrer Mutter in die Küche. Die stand am Herd und kochte. Lisa stellte ihren Schulranzen ab und sagte: „Mama, ich muss dir was sagen. Ich bin lesbisch.“ Die Mutter drehte sich zu ihr um und lachte: „Wie kommst du denn darauf? Werde doch erst einmal erwachsen, dann sehen wir schon, was wird.“

Aber es blieb dabei, Lisa liebte Mädchen. Mit 15 Jahren brachte sie ihre erste Freundin mit nach Hause. Zur selben Zeit fühlte sie sich auch immer stärker zum Islam hingezogen. Mit 14 hatte sie begonnen, im Koran zu lesen. Die Beschreibung von Allah als barmherzigen Gott, der dir alles verzeiht und dich über alles liebt und dich niemals im Stich lassen wird, egal, wie dunkel es gerade ist, das habe ihr sehr viel Ruhe gegeben. „Im Koran steht: Allah ist dir näher als dein eigener Pulsschlag.“ Lisa war damals beinahe süchtig nach Informationen über den Islam, sie las im Internet und in Büchern, sprach mit Gläubigen und Imamen in ihrer Umgebung, saugte auf, was immer sie erfahren konnte. Später lernte sie auch Arabisch.

Ohne Liebe gibt es keinen Glauben, und umgekehrt

Allerdings war ihr auch schnell klar, dass viele Strömungen des Islam Homosexualität ablehnen, in vielen muslimischen Ländern wie Ägypten und Iran steht sie unter Strafe. Auch viele Gläubige in Deutschland sagten ihr damals, Homosexuelle würden in der Hölle landen. Lisas Vater sagte außerdem: „Du bist doch Feministin, im Islam sind die Frauen aber schlechter gestellt als Männer.“ Auch viele ihrer deutsche Freundinnen konnten das nicht so recht verstehen. Lisa erzählte ihnen dann gerne die Geschichte von Kadija, die den Propheten Mohammad heiratete. „Sie war eine angesehene Geschäftsfrau, viel älter als Mohammad, der für sie arbeitete. Sie war verwitwet und bereits zwei Mal verheiratet, und sie war es, die Mohammad einen Heiratsantrag machte. Das ist doch eigentlich sehr modern.“ Der Koran weise Mann und Frau zwar unterschiedliche Aufgaben zu, aber aus Lisas Sicht stehe in keiner einzigen Sure, dass Frauen den Männern untergeordnet sind. Aber es blieb die Frage: Wie sollen Homosexualität und Islam zusammen gehen? „Viele sagten damals, ich müsse mich entscheiden: Will ich als gute Muslima oder als lesbische Frau leben?“

Willst du dich etwa zwischen dem Glauben und der Liebe entscheiden?

Imam Daayiee Abdullah zu Lisa

Schließlich fand Lisa nach einer Recherche im Internet Daayiee Abdullah. Der US-Amerikaner ist Imam in Washington D.C. – und er lebt offen schwul. Übers Internet trat Lisa mit ihm in Kontakt. Er sagte: „Willst du dich etwa zwischen dem Glauben und der Liebe entscheiden?“ Lange dachte Lisa nach. Aber irgendwann war sie überzeugt: Ohne Liebe gibt es keinen Glauben, und ohne Glauben keine Liebe. „Allah offenbart sich im Koran und sagt: Ich habe euch alle unterschiedlich gemacht, um euch neugierig aufeinander zu machen. Hätte er gewollt, dass wir alle gleich sind, wären wir auch alle gleich“, sagt sie.

Der Islam, den Lisa liebt, hat wenig zu tun mit dem, wie so viele Fundamentalist*innen auf der ganzen Welt ihn verstehen: Als die einzig wahre Religion, in der andere Meinungen im Namen Allahs von den Menschen hart bestraft werden müssen. Die Vorstellung, dass Allah jähzornig sei und Menschen für das bestraft, was sie sind, widerspricht jedoch Lisas Bild des gütigen Gottes. „Der Islam, den ich kennengelernt habe, ist friedvoll, liebenswert und tolerant.“ Die meisten Suren im Koran, sagt sie, seien so formuliert, dass man etwas nicht tun soll – nicht, dass man es nicht tun darf. „Ich finde es krass, wenn man aus solchen Handlungsanweisungen Verbote macht. Und Menschen dann sogar über andere richten. Das darf doch nur Gott.“

Lisa konvertierte zum Islam – per Telefon

Kurz nach dem Abitur war es für Lisa dann schließlich so weit. Sie wollte sich nun als Muslima bekennen. Nur wenige Tage später wollte sie für drei Monate nach Neuseeland gehen. Es war ihre erste große Fernreise. „Ich dachte, ich will als Muslima sterben, falls mir dort etwas zustoßen sollte“, sagt sie und lacht. Deshalb konvertierte sie per Telefon, denn für den Besuch in der Moschee war keine Zeit mehr. „Es war unspektakulär und ging schnell – quasi im Expressverfahren“, erinnert sie sich. Der Imam am anderen Ende der Leitung fragte sie, warum sie konvertieren wollte. Danach musste sie ihm lediglich einen einzigen Satz nachsprechen, und das mit Überzeugung: „Es gibt keinen Gott außer Allah und Mohammed ist sein Prophet.“

Als sie aus Neuseeland zurückkam, studierte sie zunächst Produktdesign und Fotografie in Köln, nebenbei wollte sie auch endlich aktiv am Leben der Muslim*innen in Deutschland teilnehmen. Sie wollte in einer islamischen Organisation Nachhilfe für Kinder geben. Nur dass man sie dort eben nicht wollte, als klar wurde, dass sie lesbisch ist. Plötzlich brauchte man keine Nachhilfelehrerin mehr.

Kurz darauf brach Lisa ihr Studium ab und begann eine Ausbildung zur Polizistin. „Der Beruf hat mich schon immer gereizt“, sagt sie. Weil sie ein starkes Gerechtigkeitsempfinden habe. Das passt für sie einerseits zum Islam und zu ihrer Überzeugung, dass Allah eines Tages über alle Menschen richten wird. Andererseits ist das Streben nach Gerechtigkeit auch die Grundlage von Recht und Gesetz. Heute fährt sie als Polizeikommissarin auf den Kölner Straßen Streife.

Mein Glaube gibt mir viel Kraft und innere Ruhe, im Türkischen nennt man das huzur.

Lisa

Inzwischen gibt es bei der Polizei einige Muslim*innen. Auf der Kölner Polizeiwache, wo Lisa arbeitet, sind es allerdings nur wenige, vielleicht fünf oder sechs bei über 200 Beamt*innen, schätzt sie. Dabei hat es im Berufsalltag durchaus Vorteile, eine Polizistin mit ihrer Migrationsgeschichte zu sein. „Es gibt mir manchmal die Möglichkeit, mit Menschen, mit denen wir in Kontakt kommen, auf einer ganz anderen Ebene zu kommunizieren.“ Wenn sie mit Menschen mit türkischer oder arabischer Migrationsgeschichte zu tun hat, kann sie mit denen in ihrer Muttersprache sprechen. „In einer angespannten Situation beruhigt das die Menschen sofort ungemein, weil sie das Gefühl haben, dass ich sie verstehe. Manchmal reichen schon einzelne Worte und ich kann sofort Erleichterung in ihrem Gesicht sehen – oder Verwirrung, je nachdem.“

Ihren Glauben lebt Lisa indessen nur im Privaten. Das Kopftuch etwa trägt sie nur zum Beten, zu Hause, in die Moschee geht sie selten. Dass dort Frauen in separaten, oft kleinen Räumen beten, während Männer in den großen, prunkvollen Gebetssaal dürfen, das gefällt ihr nicht. Derweil engagiert sie sich aber im Liberal-Islamischen Bund, einer Religionsgemeinschaft mit Sitz in Köln. Es sind Muslim*innen, die ein ebenso freiheitliches Verständnis des Islam haben wie Lisa. Auch homosexuelle und trans Menschen haben hier einen Platz. Mit Mitgliedern dieser Gemeinschaften begeht Lisa den Ramadan, sie beten gemeinsam und sprechen über den Islam – momentan alles online.

Mit ihrer Freundin feiert Lisa muslimische und christliche Feiertage

Heute, so Lisa, steht der Islam für sie vor allem für die Gewissheit, dass irgendwann Gerechtigkeit walten wird. Jeder Mensch wird sich eines Tages vor Allah verantworten müssen, für alles Gute und alles Schlechte, was er im Leben getan hat. „Mein Glaube gibt mir viel Kraft und innere Ruhe, im Türkischen nennt man das huzur. Auch wenn ich manchmal weiß, dass ich bestimmte Situationen nicht abschließend regeln kann, schaffe ich es dadurch, trotzdem mit mir selbst im Reinen zu sein. Wa allahu alaam, Gott weiß alles am besten.“ Immer wieder, wenn Lisa spricht, fallen Worte inshallah, mashallah und elhamdulliah. Lisa übersetzt diese Sätze mit „So Gott will“, „Gott soll es beschützen“, „Gott sei Dank“.

Ich merke, dass meine Identität für manche widersprüchlich erscheint, und ich musste lernen, damit umzugehen.

Lisa

Seit einigen Monaten hat Lisa wieder eine feste Freundin. Sie ist keine Muslima, sondern Katholikin. „Zwar keine, die jeden Sonntag in die Kirche geht, aber sie glaubt an Gott und die Feiertage sind ihr wichtig.“ So feiern die beiden Frauen sowohl die muslimischen als auch die christlichen Feiertage zusammen. „Beim letzten Zuckerfest, dem Bayram, hat meine Freundin meine Wohnung geschmückt und mir ein Geschenk gekauft. Dass sie die muslimischen Feiertage mit mir begeht, auch wenn sie meinen Glauben nicht teilt, finde ich wunderschön.“

Auch ihr Vater hat mittlerweile akzeptiert, dass Lisa Muslima ist. „Irgendwann hat er gemerkt, dass das keine Spinnerei und auch keine Form der Radikalisierung ist, sondern dass ich mich ernsthaft mit dem Islam auseinandergesetzt habe.“ Und der Vater nimmt Rücksicht auf die Bedürfnisse der Tochter. „Wenn ich zum Essen bei meinem Vater zu Besuch bin, ist das Fleisch halal, während des Ramadans kocht er erst zum Fastenbrechen nach Sonnenuntergang.“ Lisas Mutter erzog sie ohnehin sehr liberal, sie respektiert ihren Glauben und hinterfragt ihn nicht.

Lisa weiß heute, wer sie ist. Sie weiß, dass ihr Glaube und ihre Homosexualität kein Widerspruch sein müssen. „Johann Wolfgang von Goethe sagte einmal: Das Gleiche lässt uns in Ruhe; aber der Widerspruch ist es, der uns produktiv macht“, sagt Lisa. Es ist ein Satz, der gut beschreibt, wie auch Lisa denkt. „Ich merke, dass meine Identität für manche widersprüchlich erscheint, und ich musste lernen, damit umzugehen.“ Hier kommt sie wieder zu Allah: „Wa allahu alaam, nur Gott weiß alles am besten. Viel zu oft wird gesellschaftlich bestimmt, was wir sein dürfen und was nicht.“

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