#Sie, wir, ich und die Kartoffeln
Inhaltsverzeichnis
„Sie, wir, ich und die Kartoffeln“
„Mit den Türken sind sie sich einig: Egal, was passiert, Hauptsache, die Kinder sind nicht schwul und heiraten keine Kartoffel. Alles andere kriegt man irgendwie hin.“ Die so denken, sind Ohnse, russlanddeutsche Mennoniten in Ostwestfalen, und die Romanfigur Nelli, die das hier mit einigem Abstand beobachtet, gehört ebenso dazu wie ihre Autorin Elina Penner. Sie, wir, ich und dann noch die Kartoffeln, die das schließlich lesen sollen – die Komplexität postmigrantischen Erzählens lebt von der Unmöglichkeit, sich selbst eindeutig zu verorten.
Zum einen stimmt ja, was Penner in der Danksagung zu ihrem Debütroman „Nachtbeeren“ schreibt: „dass das Selbstverständliche in meiner Welt die Faszination der anderen ist“. Die gilt es zu wecken, ohne die migrantischen Binnenwelten dabei exotisierend einem voyeuristischen Blick preiszugeben, sagen wir: im Stile von Deborah Feldmans „Unorthodox“. Zum anderen aber ist auch ein strukturelles Rechthaben gegen die jeweils Anderen zu vermeiden, wie es sich nur allzu leicht in die Erzählung einer Heldin in schwieriger, auch verletzender Umgebung einschleicht. Denn hier droht die Trivialität des Selbstidentischen und eines Freund-Feind-Schemas.
Auf die sprachliche Form kommt es an
Wie kann Literatur eine derart anspruchsvolle Balance überhaupt leisten? Die Antwort lautet immer: in ihrer sprachlichen Form. Schon wenn das Erzählen auf mehrere Stimmen verteilt ist, man also nicht alles aus Sicht einer autornahen Instanz präsentiert bekommt, ist das der Qualität meist förderlich. Das ist das Erfolgsrezept von Fatma Aydemirs Roman „Dschinns“, und „Nachtbeeren“ lässt neben der traumatisierten, anorexischen und überforderten Nelli auch deren gläubigen Sohn Jakob und den schwulen Bruder Eugen zu Wort kommen.
Elina Penner: „Nachtbeeren“. Roman. Aufbau Verlag, Berlin. 248 S., geb., 22,– €.
:
Bild: Verlag
Dabei setzt der Roman auch auf Genreelemente: Die Handlung kommt in Gang, als Jakob seinen Vater auf mehrere Toppits-Gefrierbeutel verteilt in der Kühltruhe findet. Nun müssen die Onkel ran, und im weiteren Verlauf lernt man dann so einiges über die „in Tupperware konservierte“ Sprache des Plautdietsch, die Auffassungen der Community zu Politik und Leben, Rezepte mit Schwarzem Nachtschatten, das Angebot im Mix Markt, die Gottesdienste und Helene Fischer (Ohnse Loyna). Es entsteht das Bild eines letztlich doch recht beschränkten Milieus: „Ohnse Menschen beklagen gerne die Zustände in der Welt und lachen sofort danach. Aber das kann der Ostwestfale an sich ja auch ganz gut“ – Exotismusgefahr gebannt!
„Da half kein Migrationshintergrund“
Nun gibt es in diesem Frühjahr noch einen zweiten Debütroman mit russlanddeutschem Hintergrund. Slata Roschals „153 Formen des Nichtseins“ setzt die autofiktionale Geschichte einer jungen Frau namens Ksenia aus 153 kurzen Abschnitten zusammen. Neben erzählenden Miniaturen finden sich darunter Dialoge und Briefe, neben Einkaufslisten und Traumprotokollen stehen Kleinanzeigen, Social-Media-Einträge, ein Konferenzbericht, ein Fragebogen, Notizzettel sowie Liedgut und andere Texte der Zeugen Jehovas, zu denen die Familie jüdischer Herkunft im Zuge der Übersiedlung nach Deutschland konvertiert. Ksenia muss sich also nicht nur von tief verankerten russlanddeutschen Maßstäben emanzipieren (eine Frau müsse etwa die Phase ihrer Schönheit und Jugend nutzen, um einen wohlhabenden Mann zu angeln), sondern auch aus einer Sekte lösen. Früh ist sie als Ehefrau und Mutter ge- und auch überfordert, was insbesondere ihr Studium der Literaturwissenschaften in München und die ersten Schritte einer Laufbahn als Schriftstellerin verkompliziert („da half kein Migrationshintergrund, kein gutes Porträtfoto“).
Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.
Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.
Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.