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#Sie wollen fühlen, dass sie nicht allein sind

Sie wollen fühlen, dass sie nicht allein sind

Ein Mann, 30 Jahre, Ukrainer, mit Namen Yuri, steht am Sonntagmittag vor dem Brandenburger Tor. Er steht da schon seit zwei Stunden, und mit Verwunderung in der Stimme sagt er: „Die Leute kommen und kommen. Es hört nicht auf.“ Die Leute wollen zur Demonstration gegen Putins Krieg in der Ukraine.

Mit 20.000 Teilnehmern hatte der Veranstalter gerechnet. Eine Stunde nach Beginn meldet die Polizei schon 100.000. Sie kommen von allen Seiten, zu Fuß, mit dem Rad, mit der Bahn. Im S-Bahnhof Brandenburger Tor drängen sie sich auf den Bahnsteigen, alle paar Minuten strömen mehr aus den Bahnen und verstopfen die Ausgänge. Die Polizei wird diesen Bahnhof wenig später wegen Überfüllung schließen.

Der Raum zwischen Brandenburger Tor und Siegessäule ist schon zu Beginn der Kundgebung voll. Die Polizei weitet den Demonstrationsbereich darum bis in die anderen Straßen um die Siegessäule auf dem Großen Stern und bis zum S-Bahnhof Tiergarten aus. Maskenpflicht, Abstand halten – die Leute machen mit.

Yuri hat seit drei Tagen nicht geschlafen

Yuri ist das Herz zu schwer, als dass er sich freuen könnte. Doch er ist dankbar dafür, dass die Deutschen Anteil nehmen. Er lebt seit 15 Jahren in Deutschland, arbeitet als Heizungsbauer, doch seine Familie ist in der Ukraine. Yuri sagt, er habe seit drei Tagen nicht geschlafen. Die ganze Zeit spuke ihm im Kopf herum: „Was kann ich machen, was kann ich machen?“

Ein ukrainischer Soldat läuft durch die Trümmer, die ein russischer Luftschlag in Kiew hinterlassen hat.





Bilderstrecke



Angriff auf die Ukraine
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Zwischen Trümmern und Molotow-Cocktails

Er organisiert Hilfe für die Ukraine, über Facebook, in der Gruppe „Ukrainians in Berlin“. Da hilft Yuri, Medikamente und Bandagen zu sammeln. Die werden dann in seine Heimat geschickt. Aber hier auf der Demonstration will er vor allem zeigen, dass er da ist. So wie die anderen. Und fühlen, dass er nicht allein ist.

Von der Verwandtschaft bekommt Yuri unablässig Nachrichten. Die Schwester wohnt in Kiew, in einem Hochhaus. Da sei eine Rakete eingeschlagen. Yuris Urgroßmutter ist 91. Sie hat den Zweiten Weltkrieg miterlebt. Zu Yuri hat sie gesagt, dass die Wehrmachtssoldaten, die sie damals in der Ukraine erlebt habe, menschlicher gewesen seien als die Russen jetzt. Yuri berichtet von Videos, die zeigten, wie russische Soldaten auf Zivilisten schießen. Yuri sinnt aber nicht auf Rache. „Russland darf auf keinen Fall bombardiert werden.“ Bloß Putin müsse gestoppt werden.

Ein paar Meter weiter steht Daria, 22. Auch sie stammt aus der Ukraine. Seit zwei Jahren studiert sie in Berlin. Daria trägt ein kleines Schild aus brauner Pappe, darauf ein russischer Schriftzug. Was das heiße? „Putin go fuck yourself.“ Daria trägt Sonnenbrille, vielleicht nicht nur wegen der Sonne.

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Auch sie schläft seit Tagen nicht, und wenn sie von ihrer Familie spricht, schluckt sie immer wieder, bevor sie weiterspricht. Alle ihre Angehörigen sind in Kiew, Mutter, Stiefvater, Oma, Cousins. Sie schlafen in U-Bahn-Schächten und Kellern. Sie wollen bleiben, um für ihr Land zu kämpfen. Daria sagt, sie habe alles Geld, was sie hatte, für die ukrainische Armee gespendet. „Ich bin sehr stolz auf sie.“

Neubauer: Haben uns erpressbar gemacht

Viele deutsche Familien demonstrieren. Sie haben Schilder gebastelt: „Rusiani ite domum“ („Russen, geht nach Hause“), „Fuck u Putin“, „Putin hör auf mit dem Krieg“, „An den Frieden denken heißt, an die Kinder denken“, „Im Krieg gewinnt keiner“. Leute schauen auf ihre Handys, lesen einander die Nachrichten aus dem Bundestag vor: 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr. Ein Mann, der das mithört, nickt beifällig.


„Stoppt den Krieg! Frieden für die Ukraine und ganz Europa“: Demonstranten halten in Berlin Schilder, Fahnen und Plakate hoch
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Bild: dpa

Kinder haben Plakate mit Friedenstauben gemalt. Eine Mutter ist mit ihrer Tochter aus Oranienburg gekommen, das liegt nördlich von Berlin. Die Tochter, Isabell, ist sieben. Warum ist sie hier? „Weil der Putin das lassen soll“, sagt sie mit leiser Stimme. Durch Lautsprecher erklingen die Stimmen der Redner auf der Bühne. Eine ukrainischstämmige Aktivistin fordert Waffenlieferungen an ihr Land.

Die Klima-Aktivistin Luisa Neubauer kritisiert, man habe sich erpressbar gemacht, indem man sich abhängig von Russlands Gas und Kohle gemacht habe. Die Vorsitzende der Evangelischen Kirche Deutschlands, Annette Kurschus, spricht von einer verlogenen und machtgierigen russischen Regierung, deren „Spiel der Verfeindung“ man nicht mitspielen werde. Immer wieder gibt es Applaus. Aber viele Teilnehmer sind zu weit von Lautsprechern entfernt, um etwas zu hören. Es scheint sie nicht zu stören. Wichtig ist erst mal, überhaupt da zu sein.

Antje Kanitz, 44, gebürtige Berlinerin, beruflich im Kundenservice, findet, dass jeder seinen Teil beitragen müsse, damit der Krieg ende. Wie bei Ameisen habe jeder eine kleine Aufgabe, die zum Erreichen eines großen Ziels beitrage. So sieht es auch Manfred, 64, Mitglied der Grünen, beruflich in der Verwaltung. Manfred trägt ein Schild, auf dem auf Russisch und Deutsch „Putin der Schreckliche“ steht. Manfred kann kein Russisch, er hat es bei Google Translate übersetzt. Er findet nicht nur den Krieg schlimm, sondern auch, dass die deutsche Regierung zunächst sehr zögerlich aufgetreten sei. „Die Ukrainer mussten am Verstand der Deutschen zweifeln!“

Manfred kommt aus der Friedensbewegung, hat schon früher gegen den Krieg demonstriert. Auch damals sei er schon kritisch eingestellt gewesen gegenüber der Sowjetunion, anders als viele andere Demonstranten damals. Man sei sich aber einig gewesen, dass Krieg keine Lösung sei. Jetzt jedenfalls sei die Zeit, um Flagge zu zeigen. Nächstes Jahr, mit 65, wollte Manfred eigentlich mit der Transsibirischen Eisenbahn durch Russland reisen. Darauf ist ihm die Lust erst mal vergangen. Und überhaupt, wer wisse, was in einem Jahr sei.

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