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#Miss Afrika in China

Miss Afrika in China

Die Insel Pate im Lamu-Archipel vor der kenianischen Küste war immer schon ein Schnittpunkt kultureller Diversität, an dem einfache koloniale Machtstrukturen ins Schwimmen gerieten. Die Heimat einer reichen Swahili-Kultur wurde mal von den Portugiesen beherrscht, mal vom Sultan von Oman; wo einst arabische Sklavenhändler ihre Rohstoffe holten, baut China heute Kohle, Öl und Gas ab. Schon Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts soll ein Schiff des chinesischen Kolumbus Admiral Zheng He vor Pate gesunken sein.

Alte Familienüberlieferungen, archäologische Funde, auffällig mandelförmige Augen in der Bevölkerung und DNA-Tests lassen darauf schließen, dass die Schiffbrüchigen mehr als nur Porzellan und Halbmond-Gräber hinterließen. Für die Seidenstraße-Offensive Chinas kam das Gerücht von einer bis in die Ming-Dynastie zurückreichenden Verwandtschaft mit Afrika gerade recht. 2005 wurde eine Studentin aus Pate als Brückenbauerin und „Nachfahrin“ nach China eingeladen.

Die kenianische Schriftstellerin Yvonne Adhiambo Owuor hat sich davon inspirieren lassen. Ayaana, ihre „Miss Afrika“, fühlt sich in China ausgesprochen unwohl, fremd und ausgestoßen als „Zwischen-Kind“ und Schaufensterpuppe politischer Ränkespiele. „China will China in dir finden, und auch du wirst dein chinesisches Herz in dir entdecken“, sagt ihr Liebhaber Lai Jin, aber als leidgeprüfter Dissident weiß er auch: „Dieses Land lässt seine Seele von einem kaltherzigen Drachen bewachen, der dich nicht einlässt. Und für dich ist es nicht genug, vor den Toren zu sitzen.“

Besinnung auf die eigene Kultur

Auch Owuor fühlt sich als interkulturelles Zwischen-Kind. Pate, die kleine Insel im großen Meer der Globalisierung, soll sich weder China noch dem Westen in die Arme werfen (und schon gar nicht dem politischen Islam), sondern sich auf die eigene Kultur besinnen. „Das Meer der Libellen“ beschreibt so vielleicht auch die Zukunft Pates als eine weiblicher Selbstbehauptung.

Yvonne Adhiambo Owuor: „Das Meer der Libellen“. Roman. Aus dem Englischen von Simone Jakob. DuMont Buchverlag, Köln 2020. 608 S., geb., 24,– €.


Yvonne Adhiambo Owuor: „Das Meer der Libellen“. Roman. Aus dem Englischen von Simone Jakob. DuMont Buchverlag, Köln 2020. 608 S., geb., 24,– €.
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Bild: DuMont

Ayaana, die wir als aufgeweckte Siebenjährige am Strand kennenlernen und über gut zwei Jahrzehnte auf Irrfahrten zwischen Afrika, China und der Türkei begleiten, ist ein eigenwilliges, neugieriges Mädchen mit großem Selbstbewusstsein und Bildungshunger. Ihre Mutter Munira handelt mit Schönheitsmittelchen und wohlfeilen Ratschlägen, ihren Vater sucht Ayaana sich selbst aus: Muhidin, einen alten weisen Seefahrer und Büchernarren, der bei strenggläubigen Muslimen als „der Abtrünnige“ gilt. Er teilt mit ihr die Liebe zum Meer und zu den Büchern, die ihm am Ende zum Verhängnis wird.

Der erste Romanteil ist eine sinnlich-besinnliche Beschwörung des alten, ursprünglichen Pate. Owuor lässt Libellen fliegen, Geräusche, Gerüche und Gerüchte von den Märkten aufsteigen. Muhidin lehrt Ayaana den Reichtum der Weltkultur: Shakespeare, Hafiz, 1001 Nacht. Der europäische Kanon spielt nur eine untergeordnete Rolle im Konzert aus Bollywood-Filmen, ägyptischen Soaps, Rihanna und chinesischer Lyrik. Dass Owuor Wörter und ganze Sätze in Swahili (oder gar chinesischen Schriftzeichen) schreibt, oft ohne Übersetzung oder auch nur Glossar, unterstreicht den globalen Charakter ihres Romans, macht das Verständnis aber nicht gerade leichter.

Politische Instrumentalisierung in China

Im zweiten Teil des ozeanisch ausufernden Romans wird dann die afrikanisch-chinesische Verwandtschaft auf harte Belastungsproben gestellt. Ayaana wird in China als Kulturbotschafterin instrumentalisiert und wie ein kostbares Erbstück aus dem Familienschatz herumgereicht.

Als Studentin der Nautik und angehende Kapitänin wehrt die junge Frau alle Versuche ab, sie politisch auf Kurs zu bringen, aber im Umgang mit den Männern ist sie weniger souverän. Macho-Bestien und kalte Funktionäre lassen sich nicht mit Mutters Rosenwasser und Henna-Mandalas auf Distanz halten. Korday, ein Kommilitone aus bester türkischer Familie, verwandelt sich beim Heimatbesuch in Istanbul aus einem charmanten Hallodri in einen aggressiven Patriarchen, der seine „Miss Afrika“ mit Machtinstinkt und Mamas Hilfe beinahe vergewaltigt; er ist immerhin die interessanteste Figur.

Ayaanas Schicksal zeigt die Kosten der Globalisierung: Identitätskrisen, kulturelle Missverständnisse, Heimweh. Die Welt überschwemmt Pate wie ein Tsunami, überwältigt sie wie der chinesische Drache. Owuors „formloses Lied des Ozeans“ ist ein Strömen von diffusen Ideen, aufdringlichen Symbolen, Anekdoten und Legenden, überschwänglich pathetisch, rhapsodisch sprunghaft, gelegentlich auch nebulös („transzendente Erwartungen synchronisierten sich“). „Unter Wasser brauchte sie die Dinge nicht zu benennen, um sie zu erfassen“, heißt es einmal. „Fühlen, spüren, erfahren – das war wahres Wissen.“ Das ist ein Irrtum.

Owuors erster Roman, „Der Ort, an dem die Reise endet“, war ein großes Familienepos aus dem staubigen Norden Kenias und der Kolonialzeit. Ein wenig von dieser Staubtrockenheit hätte auch diesem Tränenozean gutgetan, in dem ständig geweint und geschmachtet wird. „Wenn du einen Fluss überqueren willst, beleidige nicht das Krokodil“, heißt eines der Glückskeks-Sprichwörter, die Owuor zitiert, und ein bisschen mehr von diesem bitteren, lakonischen Witz hätte man auch diesem fahrigen Epos gewünscht.

Yvonne Adhiambo Owuor: „Das Meer der Libellen“. Roman. Aus dem Englischen von Simone Jakob. DuMont Buchverlag, Köln 2020. 608 S., geb., 24,– €.

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