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#So groß ist der Einfluss kultureller Normen auf die Pandemie

So groß ist der Einfluss kultureller Normen auf die Pandemie

Die Covid-19-Pandemie ist ein Weltereignis. Bis auf einige Inseln im Pazifischen Ozean, die sich erfolgreich abschotten konnten, sind alle Regionen und Länder betroffen. Die Infektions- und Todeszahlen unterscheiden sich jedoch erheblich, was meist auf unterschiedliche staatliche Strategien zur Eindämmung zurückgeführt wird. Regierungen greifen zu Lockdowns und anderen „nicht-pharmazeutischen Interventionen“, die sich angesichts augenfälliger Unterschiede dazu eignen, Vergleiche anzustellen.

Häufig wird aber auch betont, dass die Bekämpfung von Covid-19 nicht von staatlichen Maßnahmen allein abhänge, sondern auch vom Verhalten der Individuen. Abgesehen von der rhetorischen Funktion, die Verantwortung nicht allein den staatlichen Entscheidungen anzulasten, kann man dies auch als Aufforderung an die Wissenschaft lesen, die Zusammenhänge zwischen der Pandemieentwicklung und soziokulturellen Unterschieden zu klären. Einen Versuch in diese Richtung hat nun eine internationale Forschungsgruppe unternommen. Ihre kürzlich veröffentlichte Arbeit beruht auf einer bereits in anderen Studien erprobten Klassifizierung von Kulturen als „straff“ oder „lose“ und fragt, ob die Infektions- und Todeszahlen während der Pandemie mit kulturellen Orientierungen zusammenhängen.

Bürger halten sich an „kooperative Normen“

Die Unterscheidung von „cultural tightness“ und „cultural looseness“ geht von der Beobachtung aus, dass sowohl die Zahl sozialer Normen als auch deren Einhaltung und Kontrolle variieren. Dies bezieht sich auf Gesetze wie auch auf allgemeine Verhaltensregeln: Im einen Land etwa gibt es detaillierte Vorstellungen über angemessene Formen der Begrüßung, im anderen wird das Rauchen rechtlich reguliert, während man im dritten einen lockeren Umgangsstil pflegt und bei Verstößen gegen formale Regeln auch mal beide Augen zudrückt. Um hinsichtlich der kulturellen Strenge Vergleiche anzustellen, wurden Befragungen in 57 Ländern durchgeführt. Anhand der Zustimmung der Befragten zu Aussagen wie „Die Leute in diesem Land halten sich eigentlich immer an die Regeln“ oder „Wenn sich jemand unangemessen verhält, wird er von anderen getadelt“ wurde eine Skala der kulturellen Straffheit erstellt, die beispielsweise Ungarn als sehr locker und Ghana als sehr strikt einstuft. Deutschland belegt einen mittleren Platz.

Vergleicht man die Plazierung der Länder auf dieser Skala mit den Infektionszahlen bis Mitte Oktober, ergibt sich das Bild eines recht eindeutigen Zusammenhangs: Je strikter die Kultur eines Landes, desto weniger Infizierte waren zu verzeichnen. Die Korrelation ist keineswegs perfekt: So zählte Ghana nur wenig geringere Infektionszahlen pro eine Million Einwohner als Ungarn. Über die Länder hinweg aber ist ein statistisch signifikanter Zusammenhang erkennbar. Für die Todesfälle lässt er sich ebenfalls zeigen, sogar etwas deutlicher. Natürlich wäre eine solche Beobachtung wenig aussagekräftig, wenn nicht weitere Faktoren, die das Infektionsgeschehen beeinflussen, berücksichtigt würden. Die Autoren prüften deshalb verschiedene Modelle, die weitere Kovarianten einbeziehen, zum Beispiel Wirtschaftsleistung, Bevölkerungsdichte, Altersstruktur und Regierungsform. Der Effekt der kulturellen Variable wird davon nicht wesentlich vermindert.

Einwänden gegen die Qualität der Covid-19-Daten begegnet die Studie durch zwei Prüfverfahren: Erstens wurden unterschiedliche Teststrategien und die damit zusammenhängenden Dunkelziffern durch das Verhältnis von durchgeführten Tests und diagnostizierten Fällen abgebildet; und zweitens wurden die Zusammenhänge abermals  unter Ausschluss der Zahlen Chinas und Russlands geprüft, also Ländern, bei denen Zweifel an den offiziellen Daten angebracht sind.

Dass Länder mit strengen Kulturen offenbar erfolgreicher bei der Eindämmung von Covid-19 sind, führen die Autoren darauf zurück, dass deren Bürger sich auch dann an „kooperative Normen“ halten, beispielsweise das Tragen von Masken, wenn diese nicht staatlich verordnet oder durchgesetzt werden. Zudem sei in lockeren Kulturen die Furcht vor der Krankheit geringer ausgeprägt und damit die Motivation, vorsichtig zu handeln. Begrenzt bleibt die Aussagekraft der Studie, weil sie Länder als homogene Einheiten behandelt. Dadurch bleiben lokale Unterschiede – kulturell wie epidemiologisch – ebenso unberücksichtigt wie die Rolle von sozialräumlicher Einbettung und Vernetzung. Manche Länder, auch in Europa, liegen nicht nur zahlenmäßig nahe beieinander – sie sind auch geographisch benachbart, und Infektionsketten machen nicht an Ländergrenzen halt.

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