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So soll Strom günstig und sicher werden

Die Energiepolitik ist weit verästelt, die Komplexität verwirrt zuweilen sogar Fachleute. Am Rande des Ostdeutschen Wirtschaftsforums in Bad Saarow kündigte die neue Bundeswirtschafts- und Energieministerin Katherina Reiche (CDU) versehentlich eine ungeahnt starke Strompreissenkung für Unternehmen an.

„Die Koalition hat sich vorgenommen, einen Industriestrompreis von fünf Cent einzuführen, sozusagen overall“, sagte sie dem Podcast „Table Today“. Gemeint war allerdings, wie sich am Dienstag auf Nachfrage herausstellte, etwas anderes: Der Koalitionsvertrag verspricht eine dauerhafte Absenkung des Strompreises für alle Verbraucher, gewerbliche wie private, „um mindestens fünf Cent pro Kilowattstunde“.

Katherina Reiche in Bad Saarow
Katherina Reiche in Bad Saarowdpa

Bezogen auf die derzeitigen Durchschnittstarife für private Haushalte wäre das – einschließlich des anteiligen Grund­preises – eine Verringerung auf 34,69 Cent je Kilowattstunde. Unternehmen mit einem Jahresverbrauch von bis zu 20 Millionen Kilowattstunden zahlen bei Neuabschlüssen derzeit 18,3 Cent einschließlich aller Abgaben und Umlagen; netto sind es 16,12 Cent. Selbst nach der Reform wären es also noch elf bis 13 Cent. Größere Industriekunden müssen zwar weniger aufwenden, ein Einheitspreis von fünf Cent, wie ihn Reiches Lapsus nahelegt, ist vorerst jedoch nirgendwo in Sicht.

Echtes Novum für Regierung

Auch wenn seine Höhe noch nicht feststeht, wäre der Industriestrompreis doch ein echtes Novum von Schwarz-Rot. Schon die Ampelkoalition hatte darüber nachgedacht, Reiches Vorgänger Robert Habeck (Grüne) spekulierte über sechs Cent. In seinem ersten Wahlkampf um die Kanzlerschaft 2021 hatte Olaf Scholz (SPD) vier Cent versprochen, war als Regierungschef davon dann aber wieder abgerückt, sodass die Idee verworfen wurde. Gemäß neuer Regierung ist der staatlich gestützte Preis in seiner Neuauflage jetzt für jene gewerblichen Verbraucher gedacht, die bei den anderen geplanten Preissenkungen durchs Raster fallen.

Diese Ideen zur Senkung der Belastung lauten zum einen, dass die Stromsteuer auf das EU-Mindestmaß gedrückt wird; bisher gilt die Reduktion nur für einige Verbraucher und auch nur befristet. Zum anderen wird laut Schwarz-Rot die „Strompreiskompensation“ permanent verlängert und auf weitere Branchen ausgeweitet, etwa auf Rechenzentren. Diese Beihilfe entlastet stromintensive Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, von den Kosten aus dem Emissionshandel. Auch die Umlagen und die Netzentgelte will die Bundesregierung verringern. Letztere sind für einige Industriebetriebe allerdings schon stark reduziert.

Brüssel sieht Finanzhilfen kritisch

Aber für solche energieintensiven Betriebe, die sich für all die bestehenden oder beabsichtigten Abschläge nicht qualifizieren, soll der vergünstigte Industriestrompreis kommen. Seine Höhe sei derzeit „in Erarbeitung“, hieß es am Dienstag in Berlin. Das „Handelsblatt“ berichtet, dass tatsächlich fünf Cent „als Möglichkeit genannt“ würden, Reiches Haus will dazu auf Nachfrage hingegen nichts sagen. Im Gespräch ist aber, dass die staatlichen Hilfen zum Industriestrompreis für die geschätzt 2000 Unternehmen bis zum Jahr 2031 rund zehn Milliarden Euro kosten werden. Die Wettbewerbshüter der Europäischen Kommission sähen diese Finanzhilfen kritisch, schreibt das „Handelsblatt“ mit Verweis auf eine Leitungsvorlage im Wirtschaftsministerium: Die EU könnte den Industriestrompreis verhindern, „ein Kernprojekt der Regierung von Friedrich Merz (CDU) droht zu scheitern“.

Tatsächlich ist Brüssel entscheidend für die Verwirklichung der energiepolitischen Pläne aus Berlin. Das gilt auch für Reiches aus dem Koalitionsvertrag entnommene Ankündigung, bis zum Jahr 2030 maximal 20 Gigawatt an gesicherter Leistung in Gaskraftwerken aufzubauen. Damit sind Kapazitäten zur Stromerzeugung gemeint, die als Rückgrat für die erneuerbaren Erzeuger für jene Fälle zur Verfügung stehen, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht. Bestenfalls müssen dann diese fossilen Quellen nur selten ans Netz.

Das bedeutet aber auch, dass sie sich in der herkömmlichen Marktstruktur, in der nur die tatsächliche Erzeugung vergütet wird („Energy-only-Markt“), für Investoren nicht rechnen. Schon die Ampel hat daher Konzepte für einen subventionierten „Kapazitätsmarkt“ entwickelt, in welchem die reine Bereitstellung als „Backup“ für die Erneuerbaren bezahlt wird; in anderen Ländern gibt es das längst.

Reiche nutzt Ampel-Vorhaben für ihre Pläne

Im Vorgriff darauf, intern als „Schnellboot“ bezeichnet, ließ Habeck ein Kraftwerkssicherheitsgesetz (KWSG) vorbereiten, das in zwei Säulen den subventionierten Aufbau von 12,5 Gigawatt gesicherter Leistung in Erdgas- und Wasserstoffkraftwerken vorsah; auch die Gaskraftwerke sollten später mit Wasserstoff laufen. Der KWSG-Entwurf schaffte die Verabschiedung zwar nicht mehr, aber Reiche kann mit ihren 20 Gigawatt jetzt darauf aufsatteln – auch in Fragen der denkbaren Beihilfen. Denn die Vorgängerregierung hatte trotz aller Versäumnisse und Verzögerungen zumindest die Förderung mit Brüssel weitgehend ausverhandelt. „Es könnte jetzt ratzfatz losgehen“, heißt es aus der Energiebranche.

Diese Eile ist dringend nötig, denn 20 Gigawatt erfordern etwa 40 Kraftwerke, deren Planungs- und Genehmigungsverfahren sowie Bauzeiten sich über viele Jahre hinziehen. Gleichzeitig gehen immer mehr regelbare Kohlekraftwerke vom Netz, die Kernkraft ist schon abgeschaltet. „Wichtig ist, dass erste gesicherte Leistung aus Gaskraftwerken so schnell wie möglich bereitgestellt wird“, fordert der Chef des Übertragungsnetzbetreibers 50Hertz , Stefan Kapferer.

„Erfolgt der Kohleausstieg nach Kohleausstiegsgesetz, müssen wir diesen schrittweise absichern, das bedeutet, dass der Zubau jetzt beginnen muss.“ Vor der Größe der Aufgabe dürfe man nicht zurückschrecken, sondern sie schrittweise angehen. „Nicht jedes Gigawatt kann und muss bereits 2030 zur Verfügung stehen“, sagt Kapferer. „Darüber sollte eine Entscheidung fallen, wenn eine auf realistischen Annahmen basierende Analyse zum Stromverbrauch vorliegt.“

DSGVO Platzhalter

Genau diese hat Reiche angekündigt, als „Monitoring“ oder „Realitätscheck“, wie sie das nennt. Kapferer rechnet mit dem Papier „in den kommenden Monaten.“ Reiches Pläne, neben dem Klimaschutz verstärkt auch auf Bezahlbarkeit und Versorgungssicherheit zu achten und die Erneuerbaren an den Systemkosten zu beteiligen, stoßen auf breite Zustimmung.

Von Umweltschützern hagelt es aber auch massive Kritik. Sie monieren, dass die neue Ministerin auf die fossile Gastechnik setze und damit eine „Rolle rückwärts“ für den Klimaschutz einleite.

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