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In der Fremde

Wer im Urlaub eine Kamera dabeihat, dem sind die anderen Touristen ein Ärgernis. Sie stehen vor Sehenswürdigkeiten herum und gern auch im Weg, sie halten planlos ihre Rübe in fremde Linsen, was im Fachjargon heutiger Tage als „photobomben“ bezeichnet wird, und verhindern durch ihre pure Anwesenheit eine postkartengemäße Ablichtung des Weltkulturerbes vor einem. Sie fuchteln mit Selfie-Sticks herum und verrenken sich, und dann dauernd dieses Grinsen! Sie sind so, wie man selbst nach eigener Wahrnehmung nie wäre, man selbst ist ja ein abgeklärter, mit allen Wassern gewaschener Globetrotter und steht auch nicht im Weg.

Andrea Diener

Eventuell findet man als Reisefotograf ein wenig Seelenfrieden, wenn man diese Touristen nicht ignoriert, sondern gezielt beobachtet. Sie sind, nimmt man sie nicht als sich erratisch bewegende Hindernisse und störende Masse wahr, eigentlich ziemlich komisch. Wie sie winken und posieren, wie sie sich hinstellen, wie sie gucken und Beine und Bäuche in allen Zuständen der textilen Bedeckung in die Landschaft strecken. Wie sie sich verrenken und sich selbst vergessen, um das eine gute Foto zu machen, das später im Wohnzimmer aufgehängt wird.

Der Fotograf Mario Schneider, der auch als Regisseur und Filmkomponist arbeitet, hat das humoristische Potential des gemeinen Touristen erkannt. Zwanzig Jahre lang richtete er die Kamera auf seinen Reisen nicht nur nach vorn, sondern auch zur Seite, eben dorthin, wo die anderen stehen. Häufig befänden sich diese Reisenden, so schreibt er in seinem Vorwort zum Band „Tourist“, in einem Zustand der Überforderung, ja beinahe der Ohnmacht, ausgesetzt einer Fülle an Reizen. Endlich sind sie da, wohin sie so lange anreisten, aber angekommen sind sie noch nicht. Erst muss fotografiert werden und sich informiert werden, dann erst erlaubt sich der Tourist Momente des Durchatmens und Umschauens. Und schließlich folgt nicht selten ein Zustand der totalen Erschöpfung.

Vor dem Buckingham Palace, London



Bilderstrecke



Fotobuch „Tourist“
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In der Fremde

Ein wenig seltsam ist es schon, sich in diesen Tagen diesen Band anzuschauen. Wer jetzt reist, tut es meist mit einem unguten Gefühl, wenn überhaupt. Und auf das erste wunderbare Aufatmen, dass einem wieder die eigene Stadt gehört, die man sich bislang mit herumstehenden und staunenden Grüppchen hat teilen müssen, folgt allmählich die Erkenntnis, wie viele Cafés und Restaurants schließen müssen, wenn die Gäste von außerhalb ausbleiben. Die Gäste reisen zudem, wenn sie reisen, alle aufs Land, weil Natur und Einsamkeit gerade wichtiger sind als Denkmäler, Kunstausstellungen und kulturhistorisch markante Gebäude.

Manch einer hegt nun die Hoffnung, dass das Reisen sich fortan verändern könnte, dass die Menschen langsamer reisen und länger verweilen könnten, dann fällt unweigerlich der Begriff „Slow Travel“. Aber das Gegenteil des Slow Travel ist ja nicht ohne Grund in die Welt gekommen. Menschen sehen sich gern so viel wie möglich an, sie besuchen gern Orte, die andere auch schon gesehen haben, und sie sparen sich im Zweifelsfall lieber eine Übernachtung. Manche reisen auch gern in Gruppen, weil sie sich sonst einsam fühlen. Sie fotografieren und winken und staunen und sind am Ende so unter Druck, dass sie erschöpft zusammensacken oder anfangen, sich zu streiten. So sind Menschen eben, und so sind sie auch als Reisende. Mario Schneider hat sie dabei beobachtet, ohne sie ins Grelle zu überzeichnen. Und mancher stellt vielleicht fest, dass er selbst gar nicht anders ist.

Mario Schneider: „Tourist“. Mit Texten von Maike Wetzel, Jule Reckow und Mario Schneider. Mitteldeutscher Verlag, Halle 2020. Gebunden, 168 Seiten, 28 Euro.

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