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#Sogwirkung einer Leiche

Sogwirkung einer Leiche

Ein Land, eine Farm, eine Familie. Vier Beerdigungen in vier Kapiteln und ein über lange Zeit immer wieder gebrochenes Versprechen, vielstimmig im Präsens erzählt in modernistischer Tradition, mit einigen Verbeugungen vor Virginia Woolf. Das sind Stoff, Thema und Form des Romans „Das Versprechen“ von Damon Galgut, der kürzlich für dieses Buch (nach einigen Nominierungen endlich!) den Booker-Preis erhalten hat.

Das titelgebende Versprechen verlangt hatte Rachel Swart, die Mutter der Geschwister Astrid, Anton und Amor (das mit der Alliteration fanden die Eltern später keine so gute Idee mehr), auf dem Totenbett. Amor hat es gehört, aber der Vater, Manie, der seiner sterbenden Frau das Versprechen gab, bestreitet es zunächst und lässt es dann auf sich beruhen. Seine Nachkommen auch. Dabei geht es um nicht sehr viel, könnte man denken. Salome, jahrzehntelang die schwarze Haushaltshilfe der Familie, soll das einfache Haus bekommen, in dem sie mit ihrem Sohn sowieso seit Langem lebt. Es könnte sein, vermutet spät im Buch einer der Swart-Erben, dass Landbesitz 1986, zum Zeitpunkt von Rachels Tod, für Schwarze rechtlich noch gar nicht möglich war. Aber das ist nicht das Problem. Ganz unabhängig von der Rechtslage hat niemand in der Familie Swart außer Amor die Absicht, den Wunsch Rachels zu erfüllen.

Das Gewissen der Familie

Das gebrochene Versprechen liegt als Fluch auf der Familie. Oder ist die Geschichte des Landes bereits der Fluch, der auch auf der Familie Swart lastet, weißen Südafrikanern, die festhalten, was sie haben, rechtmäßig oder nicht? Ist der einzige Ausweg, sich der Geschichte und dem Unglück und der Schuld, die in ihr liegen, zu entziehen, Trennung und Sühne, wie es Amor wählt, die jüngste Tochter? Sie ist das Gewissen der Familie, das sich erst durchsetzt, als alle anderen tot sind.

Aber da ist es möglicherweise zu spät. Lebten auf dem Land, das sie verschenken will, nicht sehr viel früher andere Menschen, deren Nachfahren nun ein Recht auf Rückführung anmelden? Welchen Anspruch haben Erben der Voortrekkers überhaupt auf das Land, das sie ihren Besitz nennen? Und ist es nicht besser, sich von alldem abzuwenden und wegzugehen, um, wie Amor es längst für sich entschieden hat, in einfachen Verhältnissen zu leben und als Pflegerin dort zu helfen, wo sie gebraucht wird und wo es ihr möglich ist?

„Das Versprechen“: Erschienen im Luchterhand Literatur­verlag.


„Das Versprechen“: Erschienen im Luchterhand Literatur­verlag.
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Bild: Verlag

Der Niedergang der Familie Swart verläuft parallel zur Entwicklung Süd­afrikas, das auf dem Weg heraus aus der Apartheid und hinein in weitere Desaster auf dem Weg zur Demokratie ist. Dicht in einem fluiden indirekten Gestus erzählt, von einer Figur zur anderen schwebend, umfasst Damon Galguts Roman mehr als dreißig Jahre süd­afrikanischer Geschichte, von den letzten Jahren des Apartheid-Regimes unter Pieter Willem Botha über Nelson Mandela und den Sieg der Springboks beider Rugby-Weltmeisterschaft 1995 (ein iden­titätsstiftendes Ereignis nationaler Tragweite) zur Inauguration Thabu Mbekis bis zum Rücktritt Jacob Zumas. Anlass für die Familie, sich zu versammeln, sind die Begräbnisse ihrer Mitglieder, verbunden mit mehr oder weniger Trauer, alten und neuen Zerwürfnissen.

Ma, Pa, Astrid, Anton – die vier etwa gleich langen Kapitel sind auch Toten­gesänge, nicht unbedingt schwermütig, trauernd oder gar verzweifelt, sondern auch bizarr, bitter und satirisch unterhöhlt. „Das mit deiner Mutter tut mir leid“, heißt etwa die Trauerformel im ersten Kapitel, die von so vielen Menschen wiederholt wird, dass sie den Charakter eines running gag bekommt. Die „Sogwirkung, die eine Leiche entfaltet“, wird ebenso zur Kenntnis gebracht wie die Beobachtung vom Verschwinden der Verstorbenen, das sofort nach Abtransport der Toten beginnt und „in gewissem Sinne niemals aufhört“. Angesichts der politischen wie persönlichen Katastrophen, die sich ereignen, bringt Galgut in seiner Erzählung eine Menge Humor auf.

Das menschliche Gefühl in all seinen Facetten

Und eine Mehrstimmigkeit, die über die Anzahl der Personen hinausgeht und auch jene hörbar macht, die schweigen: „In allen Townships gibt es Unruhen, überall reden die Leute darüber, hinter vorgehaltener Hand, und obwohl der Ausnahmezustand wie eine dunkle Wolke über dem Land hängt, die Nachrichten zensiert werden und die Atmosphäre insgesamt leicht angespannt, leicht aufgeladen ist, lassen sich diese Stimmen nicht zum Schweigen bringen, sind immer da, im Hintergrund, wie ein statisches Knistern. Aber wem gehören sie, diese Stimmen, und warum können wir sie jetzt nicht hören? Schhh, ihr werdet sie hören, wenn ihr nur aufpasst, wenn ihr die Ohren spitzt.“

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