#Sohn eines Eingeweihten
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„Sohn eines Eingeweihten“
Die Tendenz der Wissenschaft, von einem anachronistischen „Nach-Auschwitz-Standpunkt“ aus über das Denken und Tun der Beteiligten am Widerstand gegen Hitler zu richten, statt die damaligen Verhältnisse zu berücksichtigen, war eine ewige Klage des Historikers Peter Hoffmann. In seinem Versuch, den Vorwurf des „dissimilatorischen Antisemitismus“ gegen Carl Friedrich Goerdeler, den von den Verschwörern des 20. Juli 1944 als Reichskanzler ausersehenen Politiker, zu widerlegen, berief sich Hoffmann auf Thomas Nipperdeys Appell an den Historiker und dessen Leser, der Vergangenheit wiederzugeben, „was sie einmal hatte, was jede Zeit und auch unsere Gegenwart hat, nämlich eine offene Zukunft“.
Dieser Ansatz war die Voraussetzung für Hoffmanns grundlegende Beiträge zur Widerstandsforschung. Dem eigenen Bekunden nach war er stets darum bemüht, zu „erklären, soweit die überlieferten Quellen es erlauben, wie die Dinge sind, nicht zu bestimmen, wie sie vielleicht sein sollten“. Bei seinen Kritikern, die der konservativen Elite unterstellen, sich primär wegen des schlechten Kriegsverlaufs für das Attentat vom 20. Juli 1944 entschieden zu haben, eckte Hoffmann mit seiner Auffassung an, dass das Entsetzen über die Ermordung der Juden ein Hauptmotiv für die Bereitschaft gewesen sei, sich an einem gewaltsamen Umsturzversuch zu beteiligen. In gewisser Hinsicht lässt sich Hoffmanns Lebenswerk denn auch als eine Art von Widerstand des Historikers gegen moralisierende Besserwisserei und ideologische Kontaminierung deuten.
Widerstand, Staatsstreich, Attentat
Angefangen mit dem 1969 vorgelegten, bis heute als Standardwerk geltenden Mammutband „Widerstand, Staatsstreich, Attentat“, zeichnet sich Hoffmanns Bestreben, die breitgefächerte Opposition gegen Hitler in ihrer ganzen Zerrissenheit und Komplexität darzustellen, durch akribische Quellenforschung und sachliche Auswertung der Materialfülle aus. Seiner Arbeit liegt die Überzeugung zugrunde, dass das Wesen von Hitlers Tyrannei nicht ohne ein Verständnis der Wenigen zu begreifen sei, die sich von der Begeisterung der Massen für das Regime absetzten und bereit waren, mit dem Leben für ihr Rechts- und Moralempfinden einzustehen. Das hieß freilich nicht, die Deutschen von ihrer Mitverantwortung an den Verbrechen des Regimes zu entlasten. So sehr er den Widerstand gegen Hitler als einen „Schimmer der Hoffnung in dem Meer menschlicher Gleichgültigkeit“ betrachtete, so sehr bestritt Hoffmann doch zugleich, dass dies ein Alibi für Deutschland sein könne.
Dass der 1930 in Dresden geborene, in Stuttgart aufgewachsene Hoffmann nach der Promotion über die diplomatischen Beziehungen zwischen Bayern und Württemberg in der Zeit des Krimkrieges ins zwanzigste Jahrhundert wechselte, lässt sich nicht zuletzt durch seine eigene Biographie erklären. Seine württembergische Familie verkehrte mit den Stauffenbergs, den Weizsäckers und den Bonhoeffers. Sein Vater, der Bibliotheksrat und spätere Leiter der württembergischen Landesbibliothek Wilhelm Hoffmann, führte unter dem Deckmantel seiner beruflichen Tätigkeit in der Schweiz Kurierdienste für den Widerstand aus und war durch Eugen Gerstenmaier in die Attentatspläne gegen Hitler eingeweiht. Adam von Trott trug Wilhelm Hoffmann im Juli 1944 sogar auf, dafür zu sorgen, dass eine Pistole, die er ihm gab, seiner Frau in Berlin übermittelt werde.
Wie viele Historiker seiner Generation trieb den Sohn aber auch die Frage um, wie es zur Hitler-Diktatur kommen konnte. Hoffmann erinnerte sich, wie er sich in Tübingen, wo er bei dem aus der Emigration zurückgekehrten Zeithistoriker Hans Rothfels studierte, mit seinem Kommilitonen Hans Mommsen 1954 bei einem „nächtlichen Stehkonvent“ einig gewesen sei, dass „wir versuchen müssten, die schrecklichen zwölf Jahre zu verstehen“. Beide hätten sich auf ihre Weise darum bemüht, wobei Hoffmann gestand, dass die Freundschaft durch wissenschaftliche Gegensätze getrübt worden sei.
Bei Hoffmann gaben der Auftrag der Stiftung Hilfswerk 20. Juli 1944, die Geschichte des Widerstands zu schreiben, und der damit einhergehende Zugang zu bis dahin nicht erschlossenen Quellen den Ausschlag für den weiteren beruflichen Weg, den er in Nordamerika beschritt, zunächst als Dozent in den Vereinigten Staaten und schließlich als Professor für deutsche Geschichte an der McGill University in Montreal. Bis zur letzten Stunde hielt er sich an das Gelöbnis des Stehkonvents von 1954. Zwei Tage vor seinem Tod am 6. Januar im Alter von 92 Jahren schrieb Peter Hoffmann aus Montreal von der Hoffnung, dass die Krankheit ihm noch etwas Zeit lassen werde, um seine durch Zufallsfunde im ehemaligen KGB-Archiv bereicherte Biographie Henning von Tresckows, eines der Hauptakteure des Attentats auf Hitler, abzuschließen. Sie sollte mit seinen Büchern über Claus von Stauffenberg und Carl Friedrich Goerdeler eine Trilogie bilden, wird nun aber wohl Bruchstück bleiben.
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