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#Streaming: Netflix und die Faszination des Hochstapler-Syndroms

Streaming: Netflix und die Faszination des Hochstapler-Syndroms


„Inventing Anna“ und „Der Tinder-Schwindler“: Filme und Serien über Hochstapelei sind zur Zeit äußerst erfolgreich. Warum faszinieren uns solche Geschichten?

Zu irgendeinem Zeitpunkt geht es immer um den Privatjet. Der eine jettet damit durch die Gegend, lädt Frauen direkt am ersten Date an Bord ein. Die andere will mit dem gecharterten Kleinflugzeug zeigen, dass sie dazugehört. Teil derer ist, die es sich leisten können. Die Rechnung für das Vergnügen? Vollkommen nebensächlich – und doch Kern der Sache. Der Privatjet, die hakenden Kreditkarten und die ausstehenden Überweisungen – ein Art Symptom für das, was sich als beliebtes Motiv auf den obersten Plätzen der Netflix-Charts zur Zeit abspielt: Die Liebe zum Betrug. Neu ist das Motiv nicht – aber warum ist es wieder so präsent? Und warum sorgt es für solch guten Film- und Serienstoff?

Seit der Erscheinung am 11. Februar fast unangefochten auf Platz eins der Serien-Charts: „Inventing Anna“. Die neunteilige Serie handelt von den Machenschaften einer jungen Frau, die sich als deutsche Erbin mit den Namen Anna Delvey ausgibt und sich so den Weg in die gehobene New Yorker Gesellschaft erschleicht. Doch eigentlich heißt Anna Delvey Anna Sorokin, wurde in Russland geboren und ist im Prinzip mittellos. Was sie allerdings hat: Das ganz große Bedürfnis, zur High Society dazuzugehören. Sie betrügt Hotels, Banken, Geschäfte und Freunde. Geld, Glamour, und eine ganz große Lüge, die der Zuschauer durch die Augen einer Journalistin, die Fall publik macht, mitverfolgt.

Anna Sorokin und Simon Leviev: Zu spannend, um wahr zu sein?

Während es bei „Inventing Anna“ noch moralisch akzeptabel erscheint, zu bestaunen, wie Menschen, die vor Geld strotzen, um ihre Scheine gebracht werden, steht auf Netflix aktuellem Platz eins der Film-Charts die Tragik der Hochstapelei im Vordergrund. Die dortigen Betrugsopfer: Frauen, die auf der Dating-App Tinder ihr Glück suchen. Der Israeli Shimon Hayut gibt sich als Sohn eines Diamantenmoguls aus, nennt sich Simon Leviev und strickt sich ein Love-Scamming-System: Er bittet seine Dates, ihm Geld zu leihen, das er jedoch nie zurückzahlt, sondern wiederum für andere, parallel laufende Dates nutzt. In dem Doku-Film „Der Tinder-Schwindler“ erzählen drei seiner Betrugsopfer ihre Geschichten vom ersten Swipe bis zur Verhaftung Levievs.

Der „Tinder-Schwindler“, Simon Leviev, im Februar 2019 vor dem Münchner Hotel Mandarin Oriental.

Foto: Tore Kristiansen, Vg

Die Faszination einer guten Geschichte, die Freude an einer perfekten Inszenierung, und eine Prise „Robin-Hood-Romantik“ – das ist laut dem Literaturwissenschaftler Wieland Schwanebeck der TU Dresden das, was den Reiz an vielen Hochstapelei-Geschichten ausmacht. Schwanebeck hat über das Motiv der Hochstapelei promoviert. Frank Abagnale („Catch me if you can“), Felix Krull (erst vergangenes Jahr neu verfilmt), Tom Ripley („Der talentierte Mr. Ripley“) – die beiden Netflix-Produktionen schließen sich in eine Reihe erfolgreicher Hochstapler-Geschichten der letzten Jahrzehnte an. Neben dem „an der Nase herumführen der Bessergestellten“ macht laut Schwanebeck aus Sicht der Kunst die Faszination an Storys rund um Betrüger und Fälscher auch aus: „Hochstaplerfilme sind immer auch Meta-Filme über Hollywood.“ Kulissen werden gebaut, Rollen gespielt und durch eine große Inszenierung ein großes Publikum erreicht, erklärt er.

Erfolg der Hochstapler-Geschichten: Eine Frage der Sympathie

Was das Motiv erzähltechnisch als Stoff für Film und Literatur und zudem die Arbeitsweise der Hochstapler und Hochstaplerinnen erfolgreich macht: „Ein selbstsicheres Auftreten täuscht uns darüber hinweg, dass dieses Bild entweder zu schön, um wahr zu sein, oder sehr rückwärtsgewandt ist.“ Der luxuriös-spendable Simon Leviev, der Zeiten eines nicht gleichgestellten Rollenbilds erinnert; der Glamour um das IT-Girl Anna Sorokin rund 15 Jahre nach der Blütezeit von „IT-Girls“ wie Paris Hilton – das leuchtet ein.

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Für Faszination sorgt wohl aber auch der Fakt, dass es sich sowohl bei Anna Sorokin, Simon Leviev und auch den von Steven Spielberg verfilmten Scheckbetrüger Frank Abagnale nicht um fiktive, sondern um reale Personen handelt. Wirklich wahr, nicht wahnsinnig gut erfunden – welche Rolle spielt das erzähltheoretisch? Laut Schwanebeck gar keine so große. „Für die Popularität der Hochstaplergeschichten scheint mir nicht so sehr die Frage wichtig, ob das alles „wahr“ ist, sondern die Frage des Einvernehmens des Publikums – wie weit reicht die Sympathie für den Hochstapler?“ Wichtig sei, dass kein „ernsthafter“ Schaden entstanden sein dürfte und die Schuld an der Gesellschaft auf irgendeine Weise beglichen worden sein müsste, erklärt er.

Verfilmung des Falls Elizabeth Holmes als nächste Betrugs-Story

So weit, so zeitlos. Doch zur Zeit häufen sich Produktionen mit eben jenem Betrugs-Motiv, die auf wahren Geschichten basieren. Erst Ende Februar erschien die BBC-Dokumentationen „Jobfished“, die von einer gefakten Design-Agentur handelt. Der Chef der Agentur baute ein Netzwerk an Lügen auf, um 52 Angestellten ihren Arbeitsplatz vorzugaukeln und sie nie zu entlohnen. Weitere Dreharbeiten, die erst im Dezember 2021 angekündigt wurden: Die Verfilmung des Falls Elizabeth Holmes mit Jennifer Lawrence in der Hauptrolle. Holmes Start-Up Theranos, das ein vielversprechendes Gerät zur Blutanalyse liefern sollte, lockte zahlreiche Investoren – entpuppte sich aber als leeres Versprechen.

Der Fall Elizabeth Holmes, Gründerin und ehemalige Chefin des Bluttest-Start-ups Theranos, wird ebenfalls verfilmt.

Foto: Jeff Chiu, AP/dpa

„Die Gegenwart ist aus verschiedenen Gründen als neue Blütezeit der Hochstapelei behauptet worden, etwa durch die massive Neigung zur Selbstinszenierung und zur polierten Hochglanzoberfläche in den sozialen Medien“, erklärt Schwanebeck. Er glaube jedoch nicht daran, dass bestimmte Epochen stärker zur Hochstapelei als andere neigen. Ein Grund sind mangelnde Zahlen über Straftatbestände und zu erwartende Dunkelziffern.

Welche Rolle Influencer und Instagram spielen

Was laut Schwanebeck neu sei: Die auffallende Tendenz zu mehr weiblichen Fällen, die möglicherweise mit dem Influencer-Phänomen zusammenhänge. „Einen sehr zeittypischen Fall von Hochstapelei finde ich deswegen auch nicht so sehr den von Anna Sorokin, sondern den Skandal um das Fyre-Festival, als mit Hilfe von Models und deren Instagram-Accounts ein katastrophal organisiertes Musikfestival als Schickeria-Paradies angepriesen wurde“, sagt er. Wer hinter diesem Betrug steckte: Der amerikanische Unternehmer Billy McFarland – ein Bekannter Anna Sorokins.

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