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#Städte ohne Steine

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„Städte ohne Steine“

Casarabe ist der Name eines Dörfchens mit etwas über 900 Einwohnern im Nordosten Boliviens. Hier ist man schon weit jenseits der Anden, wo einst die Hochkultur von Tiwanaku blühte oder das Imperium der Inka. Die Gegend liegt tief im Amazonas-Becken, von dem bis vor rund 20 Jahren höchstens ein paar goldgierige Abenteurer glaubten, es sei in vorspanischer Zeit jemals von anderen bewohnt gewesen als von ein paar wenigen isolierten Stämmen in winzigen Siedlungsplätzen, die höchstens aus jeweils ein paar Hütten bestanden. Doch inzwischen gibt Casarabe einer archäologischen Kultur den Namen, die zwischen 500 und 1400 nach Christus in der Mojos-Ebene in der heutigen bolivianischen Provinz Beni gedieh – und von der sich nun herausstellt, dass es sich um eine veritable urbane Zivilisation gehandelt haben muss.

Ulf von Rauchhaupt

Redakteur im Ressort „Wissenschaft“ der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Das jedenfalls legen neue Daten nahe, die Heiko Prümers von der in Bonn ansässigen Kommission für Archäologie Außereuropäischer Kulturen des Deutschen Archäologischen Institutes zusammen mit seinen Mitarbeitern vergangene Woche in „Nature“ veröffentlicht hat. Prümers gräbt seit mehr als zwanzig Jahren in den Llanos de Mojos und ist daher schon auf genügend Belege dafür gestoßen, dass diese Gegend schon in vorspanischer Zeit großflächig landwirtschaftlich genutzt wurde – entgegen älteren Lehrmeinungen, für so etwas seien die Böden dort zu schlecht gewesen. Auch war bekannt, dass die Casarabe etliche große Strukturen angelegt hatten sowie mehrere Hundert Kilometer Dammstraßen und Wasserkanäle.

Das Gebiet der Casarabe im Amazonastiefland


Das Gebiet der Casarabe im Amazonastiefland
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Bild: Heiko Prümers DAI

Doch erst eine moderne luftarchäologische Technik namens „Lidar“ – eine Art Radar mit Laserstrahlen anstatt von Radiowellen – bringt nun die manifest urbane Dimension der Casarabe-Kultur ans Licht: Sie zeigte sich, als Prümers und Kollegen aus den Lidar-Daten, die sie 2019 bei Hubschrauberflügen aufgenommen hatten, einen Computer die Signale der Bäume und Sträucher herausrechnen ließen. Dadurch kamen unter der Vegetation der Savannenlandschaft und der sie durchziehenden Galeriewälder nicht nur 24 kleinere Siedlungsstrukturen zum Vorschein, von denen zuvor erst 15 bekannt gewesen waren, sondern auch zwei geradezu enorme Zentren eines hierarchisch strukturierten Systems aus Siedlungen verschiedener Größe, die von einer komplexen und wahrscheinlich nicht minder hierarchischen Gesellschaft zeugen. In diesen beiden Zentren namens Cotoca und Landí­var offenbarte die „elektronische Entlaubung“ unter anderem rechteckige und gestufte Plattformen mit U-förmigen Aufsätzen sowie kegelförmige Pyramiden von bis zu 22 Meter Höhe.

Es sind alles Erdwerke. „Steine fehlen in der Region vollständig“, sagt Prümers. Bis Ende des 19. Jahrhunderts seien in der Provinzhauptstadt Steine sogar auf dem Markt verkauft worden, um damit etwa Messer zu wetzen. Doch die Herren dieser steinlosen Städte geboten über ein Gemeinwesen, welches das Wasser der alljährlich über die Ufer tretenden Flüsse durch Dammstraßen und ausgedehnte Kanalsysteme zu bändigen verstand.

Landívar, das andere der beiden Zentren der Carasabe.


Landívar, das andere der beiden Zentren der Carasabe.
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Bild: Heiko Prümers/DAI

Nicht zuletzt das raffinierte Wassermanagement erinnert an die Maya in Mittelamerika, wo ebenfalls ein für intensive Landwirtschaft eigentlich ungeeignetes Tiefland eine bevölkerungsreiche Hochkultur hervorbrachte und zwei Jahrtausende lang ernährte. Während die Maya aber mit den ihnen benachbarten Hochkulturen weiter westlich im heutigen Mexiko nachweislich in Verbindung standen, ist man bei der Frage nach den Beziehungen der Casarabe etwa zu der gleichzeitig existierenden Kultur von Tiwanaku noch ganz am Anfang. „Das Layout der Siedlungen ist sehr verschieden von dem, was wir aus den Anden kennen“, sagt Heiko Prümers über die Bauten der Casarabe. „Das ist insofern nützlich, als es die sonst sicher einsetzende Diskussion darüber stark beschneidet, ob die Siedlungen nicht eine Übernahme aus dem Hochland sind.“ Die Tatsache, dass die Casarabe U-förmige Plattformbauten errichteten, störe da allerdings etwas. „Die sind aus dem Andengebiet schon mit Beginn der ersten kultisch interpretierbaren Anlagen bekannt. Aus dem Amazonas-Gebiet kannte man sie bislang nicht – allerdings ist es auch recht wenig, was man von dort überhaupt kennt.“

Tatsächlich wurden auch anderswo im Amazonas-Gebiet Hinweise auf komplexe Agrargesellschaften gefunden – etwa mehr als tausend Kilometer weiter östlich, am Oberlauf des Xingu im brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso. Doch das Etikett der Urbanität lässt sich dort weit eher anzweifeln als bei den Casarabe, deren größte nun per Lidar entdeckte Hinterlassenschaften sich als kaum etwas anderes denn als Zeremonialzentren interpretieren lassen, zumal die Bauten eine systematische Orientierung nach Nordnordwest aufweisen, die man auch bei den Bestattungen der Casarabe fand.

Unklar bleibt indes, warum die Casarabe-Kultur unterging. Die Spanier und die von ihnen eingeschleppten Krankheitserreger kamen erst 200 Jahre nach ihrem Ende, und die ebenfalls recht eroberungsfreudigen Inka sind wohl nie bis in diese Gegend vorgedrungen. „Es gibt viele mögliche Szenarien für das Ende der Casarabe-Kultur“, sagt Heiko Prümers. „Eine längere Dürreperiode, Krankheiten, Krieg – über das Ende der Maya-Kultur streitet man sich schon mehrere Archäologengenerationen lang. Das überlasse ich für die Kultur der Casarabe der nächsten Generation.“

Als Hinweise darauf, dass das Tropenreich in Kriegen versunken sein könnte, mag man die ausgedehnten Verteidigungsanlagen ansehen, die auf den Lidar-Bildern auftauchten. Doch für Heiko Prümers wäre das ein vorschneller Schluss. „Die Defensivstrukturen sind natürlich sehr auffällig“, sagt er. „So etwas baut man nicht ohne Grund. Darum verwundert es, dass wir bei unseren Grabungen keine Spuren ,interpersoneller Gewalt‘ gefunden haben. Aber vielleicht wurden die Krieger ja separat bestattet.“ Hier seien viele verschiedene Erklärungen möglich. „Das enge Netzwerk an Wegen und Kanälen, das die Siedlungen verbindet, ist eigentlich ein Ausdruck starker sozialer Kohäsion. Aber vielleicht gab es ja auch dort ab und an mal einen Putin.“

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