#„Sie wollten mir das Kind wegnehmen“
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„„Sie wollten mir das Kind wegnehmen““
Mitte April bekam Diana Jurewna Kasakowa einen Anruf von ihrer Tochter. Das zehn Jahre alte Mädchen meldete sich aus der Schule. Die Klassenlehrerin hatte die Kinder beauftragt, Briefe an die Soldaten zu schreiben. Sie sollten ihnen danken für den Dienst an der Heimat, sie als Verteidiger des Vaterlands und als Helden ehren. Die Tochter war unsicher, ob sie einen solchen Brief schreiben sollte, und wollte es mit der Mutter besprechen.
Erst dachte Kasakowa an eine Aktion der Schule zum 9. Mai, dem Tag des Sieges der Sowjetunion über Nazideutschland. An diesem Tag werden in Russland traditionell die wenigen noch lebenden Veteranen geehrt. Doch dann erwähnte die Tochter die Ukraine. Die Kinder sollten an die Soldaten an der Front schreiben. „Schreib überhaupt nichts“, sagte Diana Kasakowa.
Die Krankenschwester, 35 Jahre alt, lebte in der russischen Kleinstadt Wjatskie Poljany, die hat 40.000 Einwohner und liegt im Kirower Gebiet, etwa 1000 Kilometer östlich von Moskau. An dem Tag, als die Tochter anrief, hatte Kasakowa frei. Sie arbeitete seit zwölf Jahren als Krankenschwester, zuletzt im Zentralen Bezirkskrankenhaus im Schichtdienst. Nach dem Anruf machte sie sich gleich auf den Weg zur nahe gelegenen Schule, dem Schpagin-Lyzeum, holte die Tochter ab.
Kasakowa war aufgebracht darüber, was von ihrer Tochter und den anderen Kindern verlangt wurde. Sie ließ ihrer Empörung noch am selben Tag in einem Internetchat der Schule freien Lauf. „Ich habe geschrieben, dass ich dagegen bin, dass meine Tochter gezwungen werden soll, solche Briefe zu schreiben. Und dass ich es ablehne, dass Kinder für diese Propaganda, für diese Gehirnwäsche, missbraucht werden. Und dass ich überhaupt gegen diesen Krieg bin, in dem in der Ukraine Kinder sterben, die genauso sind wie unsere Kinder“, erzählt Kasakowa bei einem Treffen in Berlin. Einige Eltern reagierten mit schroffer Ablehnung auf ihre Aussagen. Ein Mann schrieb, sie sei wohl verrückt geworden, so etwas zu äußern. Dann entfernte eine Lehrerin ihren Eintrag, die als Administratorin den Schulchat kontrolliert.
„Kinder und Krieg – das gehört nicht zusammen“
Zunächst geschah nichts weiter. Die Tochter besuchte weiter die vierte Klasse des Lyzeums. In dessen Eingangshalle hängen Gedenktafeln für gefallene Soldaten aus der Stadt. Nicht etwa für solche, die im Zweiten Weltkrieg gekämpft haben, sondern für Männer, die in Putins Kriegen starben. Etwa in den Kriegen in Tschetschenien. Kürzlich wurde eine neue Tafel eingeweiht, für einen Soldaten, der im Donbass in der Ukraine gefallen ist. An der „feierlichen Trauerzeremonie“, wie sie genannt wurde, mussten die Schüler teilnehmen, selbst Mädchen und Jungen im Grundschulalter. Diana Kasakowa findet das falsch. „Kinder und Krieg – das gehört einfach nicht zusammen“, sagt sie.
Diana Kasakowa beim Gespräch in der Berliner F.A.Z.-Redaktion
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Bild: Andreas Pein
Doch in Russland ist das Regime ganz anderer Ansicht. Es war eine landesweite Kampagne, Briefe an die Frontsoldaten in der Ukraine zu schreiben, sie wurde an vielen Schulen durchgeführt. Zum Beginn des Schuljahrs Anfang September ist auch eine neue Unterrichtseinheit hinzugekommen. „Gespräche über Wichtiges“ heißt sie, Putin selbst hat sie bei einer Veranstaltung in Kaliningrad eröffnet. Von der ersten Klasse an soll den Schülern aller Altersstufen erklärt werden, wie wichtig die Liebe zur Heimat ist und dass der Krieg in der Ukraine dazu dient, die Bevölkerung des Donbass vor den Anfeindungen des Kiewer Nazi-Regimes zu schützen. Dass die Bewohner dort Russen sind, deren Rückkehr in die Heimat dringend notwendig ist. Dass russische Soldaten immer Helden sind.
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