Wissenschaft

Struktur des roten Farbstoffs Karmin entschlüsselt

Seit Jahrtausenden nutzen Menschen den aus Schildläusen gewonnenen roten Farbstoff Karmin. Doch erst jetzt ist es Forschenden gelungen, seine Kristallstruktur zu entschlüsseln. Dabei stießen sie auf eine Überraschung: Die Moleküle lagern sich zu einer komplexen Struktur mit Nanoporen zusammen. Solche Materialien galten bislang als Innovationen der modernen synthetischen Chemie und können unter anderem dabei helfen, Schadstoffe aus der Luft zu binden. Die Erkenntnisse könnten dazu beitragen, auf Basis der tierischen Substanz neue Materialien zu entwickeln.

Leuchtend rote Bonbons, Limonaden oder Würstchen enthalten oft den Farbstoff Karmin, der auf der Zutatenliste meist als Zusatzstoff E120 auftaucht. Gewonnen wird die Substanz aus getrockneten weiblichen Cochenille-Schildläusen – und zwar schon seit Jahrtausenden. Historische Quellen legen nahe, dass das tierische Extrakt schon um 700 vor Christus zum Färben von Textilien eingesetzt wurde. Auch Künstler wie Rembrandt und Van Gogh malten mit Karmin. Dabei zeichnet sich das Pigment durch eine leuchtend rote Farbe aus, die auch im Laufe der Zeit kaum verblasst.

Karminstruktur
Karminkristall im Elektronenmikroskop (links) und seine jetzt entschlüsselte molekulare Struktur. © Erik Svensson Grape

Poröse Struktur

„Aufgrund seiner weit verbreiteten historischen und heutigen Verwendung wurde über die Struktur von Karmin und eine mögliche Erklärung für seine besondere Farbbrillanz und Beständigkeit viel spekuliert“, berichtet ein Team um Erik Svensson Grape von der University of Oregon. „Doch obwohl Karmin eine kristalline Substanz ist, war eine Analyse mit traditionellen Methoden wie der Einkristall-Röntgenbeugung nicht möglich, weil man keine ausreichend große Kristalle dafür züchten konnte.“ Svensson Grape und sein Team nutzten deshalb moderne Techniken der Elektronenmikroskopie, darunter die sogenannte 3D-Elektronenbeugung, die auch Kristalle mit einer Größe von weniger als einem Mikrometer analysieren kann.

Dabei stießen die Forschenden auf eine erstaunliche Struktur: Das Karmin besteht aus winzigen Mikrokristallen mit einem Durchmesser von 0,3 bis 0,6 Mikrometern, zusammengesetzt aus schmetterlingsförmigen Metallkomplexen. Diese enthalten in ihrem Inneren jeweils zwei Calcium- und Aluminium-Ionen, umgeben von vier Karminsäure-Molekülen. Wenn sich mehrere dieser molekularen Schmetterlinge zusammenlagern, entsteht eine Struktur mit winzigen Poren mit einem Durchmesser von etwa 1,8 Nanometern.

Herstellung nach historischem Rezept

„Es war wirklich überraschend, dass ein seit langem verwendetes Pigment, das aus einem natürlich vorkommenden Molekül hergestellt wird, diese Art von Struktur aufweist“, sagt Svensson Grape. „Chemiker haben erst vor kurzem begonnen, Materialien mit dieser Art poröser Architektur gezielt zu entwickeln und einzusetzen – beispielsweise in der Katalyse, der Schadstoffabscheidung und der Energiespeicherung. Die ersten kommerziell erhältlichen nanoporösen Materialien wurden erst Mitte des 20. Jahrhunderts entwickelt.“

Für ihre Analysen nutzten die Forschenden zum einen verschiedene moderne Varianten von Karmin, die sie im Künstlerbedarf sowie bei einem Hersteller von Chemikalien erwarben. Zum anderen stellten sie den Farbstoff selbst nach einem historischen Rezept aus dem 19. Jahrhundert her. Dazu vermischten sie die getrockneten und zermahlenen Schildläuse unter anderem mit Zitronensäure, Milch sowie mit der aluminiumhaltigen Substanz Alaun. „Sowohl die modernen Proben als auch die nach historischem Vorbild hergestellten wiesen die gleiche Kristallstruktur auf“, berichtet das Team.

Die neuen Erkenntnisse können dabei helfen, Karmin in historischen Artefakten eindeutiger als bisher zu identifizieren. Zudem eröffnen sie potenzielle neue Anwendungsmöglichkeiten für den tierischen Farbstoff. Dank seiner porösen Struktur könnte er womöglich die Basis für neue Adsorptionsmittel bilden, die Schadstoffe aus der Luft binden.

Quelle: Erik Svensson Grape (University of Oregon, USA) et al., Crystal Growth & Design, doi: 10.1021/acs.cgd.5c00185




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