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#Sündenfall in der Villenkolonie

„Sündenfall in der Villenkolonie“

Ein Ausflug ins südhessische Dreieich-Buchschlag entschleunigt. Wer in der Villenkolonie spazieren geht, kann die Wirkung, auf die die Gartenstadtbewegung zielte, an sich selbst bemerken. Buchschlag war eine der ersten Gartenstädte hierzulande, ihre Wurzeln reichen zurück ins Jahr 1904, als der Frankfurter Kaufmann und Sozialreformer Jakob Latscha mit einer von ihm gegründeten Genossenschaft ein Waldgebiet südlich von Frankfurt erwirbt, um dort eine Siedlung im Grünen nach englischem Vorbild anzulegen. Eigentlich soll sie der Arbeiterschicht vorbehalten sein, doch die großen Grundstücke und der hohe ästhetische Anspruch treiben die Bau- und Kaufpreise derart in die Höhe, dass sich hier schließlich Bildungsbürgertum niederlässt.

Es entstehen zahlreiche Villen und Landhäuser, die zum größten Teil noch heute erhalten sind. Die meisten sind Variationen eines Grundtyps und spiegeln die architektonischen Einflüsse ihrer Zeit, vom Jugend- bis zum Landhausstil. Die Architekten orientieren sich an einem Kanon strenger Gestaltungsregeln. Vom Back- oder Sandsteinsockel bis zu den aufwendigen, verspielten Sattel-, Mansard- und Walmdächern mit ihren Erkern, Gauben und Zwerchhäusern wurde Vielfalt in Einheit angestrebt. Die Erbauer der Villenkolonie verbinden Stilbewusstsein mit Dezenz.

Idyllische Waldsiedlung

So geht man also, nur wenige S-Bahn-Fahrminuten von Frankfurt entfernt, durch eine stimmig angelegte Waldsiedlung, vorbei an feinen Künstlerhäusern mit prächtigen Giebeln, verwunschenen Hexenhäuschen mit beeindruckenden Dachlandschaften und vereinzelten Jugendstil-Perlen. Die Atmosphäre wirkt vage englisch, viele Gärten wirken leicht verwildert. Die heutigen Bewohner der Villenkolonie sind zumeist betucht und freundlich, sie grüßen auch fremde Passanten. An einem Zaun hängen Plakate, die zu Hauskonzerten einladen. Mehrmals im Jahr wird dann für einen Musikabend das Wohnzimmer ausgeräumt.

Im Jahr 1979 wurde die Villenkolonie unter Denkmalschutz gestellt.


Im Jahr 1979 wurde die Villenkolonie unter Denkmalschutz gestellt.
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Bild: Lucas Bäuml

Doch dieses Idyll ist gefährdet. In der jüngsten Vergangenheit machen sich immer mehr Neubauten in der Gartenstadt breit, die so gar nicht zu diesem Ensemble passen wollen. Geschmacklose Häuser, klobig und protzig. Eine dieser Villen hat sich wie ein weiß verputzter Hochbunker mit nur leicht geneigtem Dach an der Ernst-Ludwig-Allee breitgemacht. Vor den bodentiefen Fenstern hängen die schwarzen Lamellen des Sonnenschutzes, im Vorgarten liegt Schotter, die überbreite Garage reicht bis zur Grundstücksgrenze. Zur Straße hin präsentiert sich das Haus abweisend, es zeigt den Passanten die kalte Schulter – eine Geste, die nicht nach Buchschlag passt, wo die historischen Gebäude einladend gestaltet sind, indem sie einen freien Blick auf die Schaufassaden und die schmucken Giebel gewähren.

Wie ein Sündenfall

Am Bogenweg hat sich ein anderer gedrungener Klotz zwischen die grazilen Landhäuser geschmuggelt. Auch hier: bodentiefe Fenster ohne die sonst typischen Klappläden, das Dach ist nur mäßig geneigt. Für den Zaun wurde der geschwungene Bürgersteig einfach begradigt. In einem x-beliebigen Neubaugebiet würde diese Durchschnittsware kaum auffallen, aber in dieser Umgebung wirkt sie wie ein Sündenfall.

Ein Erscheinungsbild, das gepflegt werden muss: Detail an einer Villa.


Ein Erscheinungsbild, das gepflegt werden muss: Detail an einer Villa.
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Bild: Lucas Bäuml

Wie konnte es dazu kommen? Wer genehmigt so etwas? Die Villenkolonie ist eine der ersten sogenannten Gesamtanlagen, die in Hessen als Baudenkmal anerkannt wurden. 1979 wurden 93 Häuser unter Schutz gestellt. Das war auch dringend nötig. Den Krieg hatte Buchschlag zwar einigermaßen glimpflich überstanden, nur sieben Häuser wurden zerstört. Doch wie andernorts auch wurden in der Nachkriegszeit größere Schäden angerichtet. Die Schaffung von Wohnraum stand damals auch in der Villenkolonie im Vordergrund, einige Parzellen waren geteilt und die zusätzlich gewonnenen Grundstücke bebaut worden. Die strengen Gestaltungsregeln der Gründungszeit wurden dabei nicht angewandt. Sogar das Haus des Architekten Friedrich Pützer, von dem der Bebauungsplan der Gartenstadt stammt, wurde 1970 abgerissen und durch einen banales Wohnhaus ersetzt.

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