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#Und leise rascheln die Wunschzettel

Das Timing hätte besser nicht sein können. Der Frankfurter Planungsdezernent hat die Agentur des städtischen Wandels an der Braubachstraße erst vor ein paar Tagen eröffnet. Nicht einmal eine Straßenbahnhaltestelle vom Rathaus Römer entfernt ist ein leerstehendes Ladenlokal zu einer Art Stadtteilbüro umgebaut worden. Dort, wo bis vor kurzem noch Autoersatzteile verkauft wurden, soll jetzt über die Zukunft des Stadtzentrums debattiert werden. Bis auf die Ziegelsteine entblößte Wände verströmen auf etwas klischeehafte Weise den rauen Charme des Provisorischen, Besucher der ersten Veranstaltungen haben ihre Wünsche für eine attraktivere Innenstadt auf Zetteln notiert, die mit roten Klebestreifen an Stellwänden befestigt sind.

Mike Josef ist an diesem Montag gewissermaßen bei sich selbst zu Gast. Der noch amtierende Planungsdezernent Josef hat dem künftigen Oberbürgermeister Josef mit den Räumlichkeiten der Agentur die ideale Bühne errichtet, um den Anbruch einer neuen Ära in der Stadtpolitik anzukündigen. Man merkt dem Vierzigjährigen am Tag nach der Stichwahlentscheidung allerdings an, wie viel Kraft der Wahlkampf gekostet hat. Manche Fragen beantwortet er erst nach einer Pause, es scheint eine Mischung aus Erschöpfung und Rührung zu sein, die ihn, der sonst im Reden Geschwindigkeitsrekorde aufstellen kann, jetzt nach Worten suchen lässt.

Wandel ist sein erstes Stichwort; die bleierne Zeit, zu der die letzten Amtsjahre seines Vorgängers geraten war, soll endlich überwunden werden. Josef kündigt an, den Entscheidungsstau im Römer aufzulösen; wichtige Vereinbarungen im Koalitionsvertrag von Grünen, SPD, FDP und Volt, den er ausdrücklich zum Maßstab seines Tuns erhebt, sollen zügig verwirklicht werden. Dazu zählt der überfällige Beschluss zum künftigen Standort der Städtischen Bühnen. Das werden die Mitarbeiter von Oper und Theater mit Wohlgefallen hören. Wie es die Kunstszene insgesamt freuen wird, dass Josef die Kultur als „Zweck an sich“ bezeichnet. Zu Beginn seines Wahlkampfes hatte er sie vor allem als Umsatzbringer und als Vehikel fürs Stadtmarketing bezeichnet. Das war nicht viel besser als das soziale Schmiermittel, als das sein Vorgänger die Kultur betrachtete.

Erfreulich auch: Das Trennende, das Peter Feldmann ziemlich erfolgreich zu seinem Markenzeichen gemacht hatte, indem er sich von einem Establishment abgrenzte, das im bodenständigen Frankfurt doch eher Chimäre als Realität ist, soll überwunden werden. Wo Feldmann seine Memoiren mit „Sozi. Jude. Oberbürgermeister“ überschrieb, will Josef aus seinem Werdegang als Flüchtlingskind aus Syrien keine große Sache machen. Er wolle ein Stadtoberhaupt für alle Frankfurter sein, sagt Josef – eine Phrase, natürlich, aber doch eine mit Berechtigung.

Sozialdemokraten in der Minderheit unter Josefs Wählern

Den ersten Schritt zum OB über den Parteien hat Josef schon gemacht, ein wenig unfreiwillig allerdings: Wie die bemerkenswert präzisen Analysen der städtischen Wahlforscher zeigen, hat in der Stichwahl nur etwa ein Viertel der Wähler, die bei der Kommunalwahl von 2021 für die SPD gestimmt haben, für Josef votiert. Den knappen Sieg über den CDU-Kandidaten Uwe Becker, der auf respektable 48 Prozent der Stimmen gekommen ist, verdankt Josef vor allem den Wählern der Linkspartei und insbesondere den Anhängern der Grünen. Letztere stellten jeden zweiten seiner Wähler und trugen damit mehr zu seinem Sieg bei als die eigenen Genossen. Sie werden es ihn noch spüren lassen.

Indem er sich nicht nur bei den Grünen-Wählern, sondern auch bei seinem Stichwahlgegner Becker gleich zweimal für einen fairen Wahlkampf bedankt, öffnet Josef seine Perspektive über die eigene Koalition hinaus, durchaus im Geist der Hessischen Gemeindeordnung, der parteipolitische Konfrontation fremd ist. Josef möchte die Parteien der Opposition in wichtige Entscheidungen einbinden, damit diese über einen möglichen Machtwechsel nach der nächsten Wahl hinaus Bestand haben. Solcher Idealismus ehrt ihn. Wichtiger ist, welchen Elan Josef in seinem neuen Amt entwickelt. Beobachter seiner Tätigkeit als Dezernent hegen sehr unterschiedliche Erwartungen. Die einen preisen seine Bereitschaft, unpopuläre Maßnahmen zu vertreten, andere kritisieren sein Zögern, Bedenken aus der Verwaltung zu überwinden.

Die Wunschzettel in der Agentur des städtischen Wandels bewegen sich in der Zugluft, wenn die Tür aufgeht und ein verspäteter Besucher der Pressekonferenz hereintritt. „Schmetterlinge und Regenwürmer“ wünscht sich jemand, mehr Spiel- und Grillplätze ein anderer. Und so geht es weiter – bis hin zur Forderung nach strengeren Kontrollen von Fußgängern, die rote Ampeln ignorieren. Wenn Josef die Zettel demnächst in Ruhe studiert, dürfte ihm die Größe seiner Aufgabe so richtig bewusst werden. Wer Oberbürgermeister aller Frankfurter sein möchte, wird auf die Nachsicht vieler rechnen müssen. Immerhin, Toleranz gehört seit jeher zu den Tugenden der Stadt.

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