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#Der Abgrund hinterm Tellerrand

Der Abgrund hinterm Tellerrand

Ekeln ist menschlich. Wir sind wahrscheinlich die einzige Spezies, die sich vor sich selbst ekelt, vor den Beweismitteln unseres Lebens und Sterbens, vor Exkrementen, Körpersäften, Blut, aber auch vor den Sitten unserer Artgenossen, die wir mit Vorliebe als Unsitten identifizieren. Ein Ekelpaket ist keine grüngeschimmelte Packung Bierschinken, sondern ein unappetitlicher Zeitgenosse. Ein Ekel. Ein Widerling. Selbst vor der eigenen Person macht diese im Wortsinn ungünstige Emotion nicht Halt. „Eine Viertelstunde würde genügen, dessen bin ich sicher, um mich zum äußersten Selbstekel zu bringen“, schrieb der Existenzialist Jean-Paul Sartre in seinem Roman „Der Ekel“. Und da ist vom Essen noch gar keine Rede.

Sartre liebte Schweinebraten. Er liebte überhaupt Fleisch. Der Publizist Klaus Ebenhöh, der ein Buch über die Geschmäcker berühmter Philosophen verfasst hat, nannte den Franzosen mal einen „Wurstfetischisten“. Eklig. Aber warum?

Die „machtvolle Form negativer Sozialisierung“

Schuld ist natürlich die wertkonservative Richterin namens Gesellschaft. Der als führender Ekelforscher geltende amerikanische Psychologe Paul Rozin spricht vom Ekel als einer „machtvollen Form negativer Sozialisierung“: Die hygienische Abwehrfunktion des Ekels (etwa vor krank machendem Schimmelschinken) werde zu einem Regelbuch des guten Benehmens ausgeweitet, bei der es nicht um körperliches, sondern um seelisches Wohlbefinden gehe. Dass die meisten Deutschen noch nie Hundefleisch verzehrt haben, hat nicht primär gesundheitliche oder geschmackliche Gründe.

Wer das gerade eröffnete Disgusting Food Museum in Berlin besucht, stellt fest, dass tierische Produkte auf andere Weise eklig sind als pflanzliche Nahrungsmittel. Man muss sie ja auch gar nicht probiert haben, die Schweineschnauzen, die hier wie perforierte Riesenchampignons im klinischen Museumslicht liegen, um allein bei der Vorstellung das eigene Organ zu rümpfen. Es ist ein Ekel im Herzen statt auf der Zunge.

Dr. Matrin Voelker, Direktor des Disgusting Food Museum Berlin, im Eingangsbereich des Museums, Berlin- Mitte.


Dr. Matrin Voelker, Direktor des Disgusting Food Museum Berlin, im Eingangsbereich des Museums, Berlin- Mitte.
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Bild: Andreas Pein

„Ekel bildet! Ekel schmeckt!“ steht auf einer Tafel am Museumseingang, außerdem eine Sentenz des Philosophen der Aufklärung Markus Herz: „Der Ekel tötet alle Ideen von Schönheit.“ Martin Völker, ein freundlicher Berliner Ende vierzig, ist promovierter Ästhetiker und Direktor des Disgusting Food Museums. Er hat lange als Dozent gearbeitet, jetzt ist er Lobbyist des Ekligen. Drei-Penis-Schnaps, Schafsauge, Milbenkäse: hat Völker alles da. Es gehört wohl eine Portion Humor dazu, wenn man, wie er, beruflich nichtsahnende Fleischereien anrufen muss, um Bullenhoden zu ordern, oder zu Dienstzwecken fermentierte Pferdemilch schlürft.

Der Vorhang

Die Flasche Mäusewein ist auch echt, und die „Babymäuseleichen“, die dort unten winzig und tot in bernsteinfarbenem chinesischen Reiswein liegen, ebenso. „Die meisten Menschen essen nichts, worin sie Tiere noch erkennen können“, sagt Völker. „Augen, Zunge, Nase, Euter, Herz sind so sehr mit dem Tier verbunden, dass ich weiß: Wenn ich das auf dem Teller habe, ist das Tier tot, und ich bin dafür verantwortlich. Beim Wiener Schnitzel ist sogar eine Panade drum, da kann ich das gut ausblenden. Wir ziehen den Vorhang weg.“

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