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#Kein Flappergirl weit und breit

„Kein Flappergirl weit und breit“

Als der Regisseur Tom Tykwer vor einigen Jahren mit der Krimi-Serie „Babylon Berlin“ in die Abgründe der Goldenen Zwanziger blickte, war ihm wahrscheinlich nicht klar, dass er damit ein neues Untergenre des deutschen Kriminalromans erschaffen würde. Mittlerweile kann man Regalbretter mit Büchern füllen, die – ganz in zarter Anlehnung an die Figuren aus „Babylon Berlin“ – entweder einer jungen, selbstbewussten Frau im Polizeidienst (wie die Reihe um die „Polizeiärztin Magda Fuchs“ von Helene Sommerfeld) bei den Ermittlungen zwischen reichen Villenhäusern und verrauchten Jazzbars folgen oder ruppige Berliner Kommissare in den Blick nehmen, die sich mit allerhand zwielichtigen Gestalten zwischen Armut und Exzess herumschlagen müssen (wie zuletzt etwa Susanne Gogas „Schatten in der Friedrichstadt“).

„Duczika“ von Herman Heijermans ist zwar ein Kriminalroman, der im Berlin der Goldenen Zwanzigerjahre spielt, in eine Reihe mit den vorgenannten Krimis gehört er jedoch nicht, denn er blickt nicht leicht nostalgisch auf andere Zeiten zurück, sondern nahm seine Gegenwart kritisch unter die Lupe. Heijermans war ein niederländischer Journalist und Autor, der 1864 in Rotterdam in eine liberale jüdische Familie hineingeboren wurde. Seine Arbeit führte ihn auch nach Berlin, wo er das Theater für sich entdeckte – zurück in den Niederlanden, veröffentlichte er mehrere Stücke, die bis heute aufgeführt werden.

Was er aber aus dem Journalismus gelernt hatte, war die scharfe Beobachtung gesellschaftlicher Missstände und der Menschen, die mit ihnen zu kämpfen hatten. In seinem 1912 erschienenen Roman „Duczika“, der nun zum ersten Mal in deutscher Übersetzung vorliegt, nimmt der Autor gleich mehrere Personen in den Blick, die sich mal mehr, mal weniger legal in Berlin durchschlagen.

Ein Perspektivwechsel sorgt für Zweifel

Da ist der Student Erich, der zwischen Pferdewetten und Pfandleihhaus pendelt, während er auf die Erbschaft eines noch putzmunteren alten Onkels wartet. Da ist die junge, titelgebende Duczika, die mit Mutter, Schwestern und Cousine in einem kleinen Hinterhausappartement wohnt und sich in den Nächten an der Nähmaschine die Augen verdirbt, um in Heimarbeit ein wenig Geld zu verdienen. Da ist der Textilunternehmer Felix, der sein Vermögen durch systematische Ausbeutung Hunderter junger Frauen wie Duczika gemacht hat und es sich nun mit reichen Freunden und Kaviar gut gehen lässt. Da ist noch ein gutes Dutzend anderer Figuren unterschiedlichster Schichten, denen Heijermans selbst in kurzen Skizzen charakterlichen Tiefgang zu verleihen weiß.

Herman Heijermans: „Duczika“. Ein Berlin-Roman


Herman Heijermans: „Duczika“. Ein Berlin-Roman
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Bild: Bäßler Verlag

„Duczika“ malt das Gesellschaftspor­trät einer Stadt, in der jeder für sein eigenes Glück verantwortlich ist, in der Hunger die Menschen antreibt zu arbeiten und die Verlockungen des Konsums ihnen den Lohn sofort wieder aus der Tasche ziehen und sie nach mehr streben lassen. Geld ist das Schmiermittel dieser Maschine, und die Aussicht, es schnell zu bekommen, stürzt so einige ins Unglück. „In der Tugend konnten sich Menschen vereinigen. Untugend verband sie stärker, länger, intimer. Tugend war das äußere gesellschaftliche Band. Untugend verband fürs Leben“, schreibt Heijermans.

Ab der Mitte des Romans spitzt sich die Handlung dramatisch zu. Das Gesellschaftsporträt wird zum Kriminalroman. Heijermans arbeitet mit Perspektivwechseln, sodass man ins Zweifeln gerät, wer hier Sünder ist und wer sündigt. Ein besonderes Auge hat der Autor dabei für die Ungerechtigkeiten, die sich Menschen gegenseitig antun: vom Pförtner, der mit Tratsch die Sittenpolizei auf eine unschuldige Frau hetzt, bis hin zu den zahllosen Belästigungen, die die junge Duczika hinnehmen muss, wenn sie beim Vermieter um Zahlungsaufschub bittet oder mit dem Zwischenmeister über den Preis für die genähten Blusen verhandeln muss und dabei das Gespräch so führt, dass es die sexuellen Angebote des Arbeitgebers immer wieder umschifft.

Diese Machtgefälle webt Heijermans ebenso leicht in die Szenen ein wie den latenten Antisemitismus, der sich bereits zeigte. In seiner niederländischen Heimat gilt der Autor als Vertreter des Naturalismus. Übersetzer Ferri Leberl gelingt es, die sprachlichen Schnörkel herauszuarbeiten, die Heijermans’ nüchterne Menschenbeobachtungen zur dichten Erzählung werden lassen.

Herman Heijermans: „Duczika“. Ein Berlin-Roman. Aus dem Niederländischen von Ferri Leberl. Bäßler Verlag, Berlin 2022. 368 S., br., 19,80 €.

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