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#Wolf Wondratschek zum 80. Geburtstag

Als „berühmter Schriftsteller“ will er nicht bezeichnet werden. Er beruft sich dabei auf Nabokov und dessen Satz „Lolita ist berühmt, nicht ich“ – wahrlich nicht den Geringsten unter seinen Kollegen. „Nicht schlecht“, befand Wolf Wondra­tschek vor ein paar Tagen im Gespräch, „wenn die Arbeit, nicht der Autor den Ruhm abkriegt.“

Mit seiner Arbeit an und mit der Sprache begann Wondratschek schon früh, sein erstes Buch, eine Sammlung bis dahin ungekannt lapidarer Prosa­stücke, erschien 1969 im Hanser Verlag unter dem inzwischen legendären Titel „Früher begann der Tag mit einer Schußwunde“. Da war er gerade 26 Jahre alt. Die Chance auf die Charge „reich und berühmt“ ließ er danach aus, als er seine Gedichtbände – „Chuck’s Zimmer“, „Das leise Lachen am Ohr eines andern“ und „Männer und Frauen“ – selbst verlegte und über den Frankfurter „Zweitausendeins“-Versand vertrieb. Sie wurden zu enormen Erfolgen und verankerten ihn bis heute im Kanon der deutschsprachigen Literatur.

Ihre, das sei erlaubt: gänzlich un­gealterte Lyrik („Lyriker“ will Wondra­tschek natürlich auch nicht heißen) wurde zur Identifikationslektüre nicht nur seiner und einer nachfolgenden Generation. Hier noch einmal ein Satz aus den „Gloria-Gedichten“ von 1976: „Poesie ist die Erinnerung / An all die Liebenden, die sich / Nach dem Tode sehnten und weiterlebten. // Und wenn sie endlich sterben, / wird es zu spät sein / für jeden von uns.“

Diese Gesänge über die Männer und die Frauen (es stimmt einfach nicht, dass Wondratschek dabei im ständigen Kampfmodus war), über das ungelebte Leben und die Sehnsucht, also kurz: über die Liebe – und sei sie sein Hingezogensein zur Unterwelt und ihrem Personal, zum Boxen oder zur Corrida – machten ihn zum Star. Daran war Wondratschek nicht unschuldig, ließ es mindestens geschehen. Einige Etiketten, die ihm angehängt wurden, verdiente er sich redlich, loner oder, wenn’s der Wahrheitsfindung dient, auch Macho. Von Ideologien hielt er sich stets fern, auch in seinem Schreiben. Nicht wenigen galt er als Außenseiter – wofür freilich zu wissen wäre, wo das Innen war und ist.

Die musikalische Sprache

„Es gibt keinen Unterschied zwischen einem, der Gedichte schreiben kann, und einem Autor von Prosa: Die Musik ist dieselbe, damit meine ich alles Musikalische: piano und forte, rubato und dolce, Rhythmus, ein Gefühl für Melodien.“ So antwortet Wondratschek auf die entsprechende Frage. Und für seine den Gedichten folgenden Romane gilt das genauso. Untrügliches Gespür für (Sprach-)Melodien trägt auch sie. Die leidige Angelegenheit mit den wichtigen Literaturpreisen, die er nicht bekommen hat, sei nur der Ordnung halber erwähnt – zumal ja noch Zeit dafür bleibt.

Genannt seien hier stattdessen zwei dieser Bücher, in denen er auch die Musik selbst zum Thema gemacht hat, genauer: die im Wortsinn von ihr Ergriffenen. Da ist die abenteuerliche Geschichte des Cellos „Mara“ (2003), erzählt vom Instrument selbst, einem fühlenden Klangkörper zwar, als solcher aber der menschlichen Sterblichkeit naturgemäß entzogen. Und da ist „Selbstbild mit russischem Klavier“ (2018), gewidmet dem (nicht ganz realen) Pianisten Juri Suvorin und dessen schweifender Lebensenderzählung, in deren Verlauf immer wieder auch die Reflexionen des Autors verwoben sind.

In „Erde und Papier“ (2019) war zuletzt etwas wie vermischte Prosa versammelt, darunter Artikel, Kommentare und Selbstauskünfte über die Jahre hin, zum Abschluss auch Wondratscheks Dankesrede mit dem Titel „Der Leser sollte nur auf das Glück aus sein“ für den Alternativen Büchner-Preis, den ihm der österreichische Mäzen Helmut Meier 2017 mit entsprechender Dotierung zuerkannte. Darin steht der schöne Satz: „Der Poet ist der Musiker unter den Schriftstellern. Er ist der, dem die Geheimnisse des Gefühls kostbarer sind als die Wahrheiten des Verstandes.“

Sinnesreize für den Leser

Seit Ende Juli gibt es sein jüngstes Buch. „Einige Gedichte“ heißt es, aber es lässt sich eben nicht sagen, er wäre jetzt zum Dichter-Sein zurückgekehrt. Denn die Gedichte bleiben bei diesem Ton, diesem Tonus, der ihn so unverwechselbar gemacht hat. Die Sprachbilder, die Wondratschek formt, gehen verströmen Sinnesreize, die den Lesern – und, es sei ausdrücklich gesagt, den Leserinnen – Komplizenschaft auftragen und zutrauen. Wer Wondratschek ohnehin schätzt, wird sie mit Aufmerksamkeit und Hin­gabe lesen, als ein Glück. Allen anderen können sie die Augen öffnen.

Der Gedanke an die Endlichkeit insistiert – war der Tod doch schon von Anfang an, seit jenem Schuss am Morgen, in den Kulissen, ein beständiger Begleiter, nie ganz abwesend. Das letzte Gedicht im neuen Band beschwört noch einmal die Musik, heißt „Kissin auf YouTube“ und gilt dem Pianisten und der „Pathétique“: „Kissin spielt Beethoven, / über die Tasten gebeugt wie ein Leser über ein Buch, / mit einer Konzentration, die alles Eilige nicht kennt. / So einen Leser, das weiß ich jetzt, gibt es also, / auch wenn er, die ganze dunkle Ruhe einer letzten / Wahrheit in Händen, vor einem Klavier sitzt. // Nichts, was geschrieben, ist heilig, / aber macht es nicht kaputt.“

Nein, das soll nicht geschehen, und manches, was einer geschrieben hat, ist unzerstörbar. Heute feiert Wolf Wondra­tschek in seiner Wahlheimat Wien achtzigsten Geburtstag.

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