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#Die Heimat kommt nicht zurück

Die Heimat kommt nicht zurück

Vor dem Unglück zählte Toshimitsu Wakizawa 800 Haushalte zu seinen Kunden. Vor fünf Jahren waren es nur noch hundert. Wakizawa trägt seit mehr als zwanzig Jahren Zeitungen aus. Um die Schwierigkeiten des Wiederaufbaus im Nordosten Japans zehn Jahre nach dem Erdbeben, dem Tsunami und der Kernschmelze im Atomkraftwerk Fukushima Daiichi zu verstehen, muss man sich mit ihm unterhalten. Heute verteilt er schon wieder an 400 Haushalte in Naraha seine Zeitungen. Hoffnung, dass es noch einmal viel mehr werden, hat der 72 Jahre alte rüstige Mann nicht. „Wer zurückkommen wollte, ist nach Naraha zurückgekehrt“, sagt Wakizawa. „Die anderen haben woanders ein neues Leben begonnen.“

Patrick Welter

Patrick Welter

Korrespondent für Wirtschaft und Politik in Japan mit Sitz in Tokio.

Seine Heimatstadt liegt etwa 19 Kilometer südlich des Kernkraftwerks Fukushima Daiichi. Am 11. März vor zehn Jahren überschwemmte in dem Atommeiler der Tsunami die Notstromaggregate. Das Kühlsystem fiel aus. Es kam in der Folge zu Explosionen und zur Kernschmelze in drei von sechs Reaktoren. 165.000 Menschen in der Nähe des Kraftwerks wurden umgesiedelt. Noch heute wohnen fast 37.000 Menschen aus der Präfektur fern ihrer Heimat.

In Naraha wurden die Menschen am Tag nach der Katastrophe aufgefordert, sich in Sicherheit zu bringen. Die meisten Einwohner flohen in das noch weiter südlich gelegene Iwaki. Vier Jahre lang lag Naraha brach. Häuser, die nicht vom Erdbeben beschädigt oder von der Flutwelle zerstört worden waren, verkamen ungepflegt. Im Herbst 2015 wurde Naraha als eine der ersten Ortschaften in der Sperrzone um das havarierte Kraftwerk nach der Dekontaminierung wieder für Wohnen und Leben geöffnet. Falls Wiederaufbau und die Wiederbelebung der Städte in der Nähe des Atomkraftwerks gelingen sollen, dann müsste es hier am ehesten zu sehen sein.

Ordentlich wieder aufgebaut: das neue Stadtzentrum von Naraha in der Präfektur Fukushima


Ordentlich wieder aufgebaut: das neue Stadtzentrum von Naraha in der Präfektur Fukushima
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Bild: Patrick Welter

Auf den ersten Blick sieht in Naraha alles wieder gut aus. Die auf den Feldern in langen Reihen gestapelten schwarzen Säcke, in denen während der Dekontaminierung radioaktiv verstrahlte Erde und Schutt gesammelt wurden, sind schon seit langem abtransportiert in ein Zwischenlager nahe dem Atomkraftwerk, das in 30 Jahren wohl zum Endlager werden wird. Auf der Nationalstraße 6, auf der bei einem Besuch vor fünf Jahren fast ununterbrochen Laster zum Kraftwerk oder in die Aufbaugebiete im Norden fuhren, geht es ruhiger zu.

Südlich des Rathauses liegt ein neues kleines Einkaufszentrum mit Supermarkt, Baumarkt und Restaurants, in denen mittags auch der Bürgermeister neben Rentnern und Bauarbeitern seine Nudelsuppe isst. Daneben steht ein neues großzügig verglastes Gemeindezentrum, dessen Veranstaltungsprogramm ein wenig Gemeinschaft erzeugt. Um die Ecke fällt der Blick auf uniforme Einfamilienhäuser für Umgesiedelte. Sie werden Wiederaufbauhäuser genannt und sind mit öffentlichem Geld finanziert. Die Miethöhe richtet sich nach dem Einkommen. Nach zehn Jahren müssen die Bewohner ausziehen oder die Immobilie kaufen. Hinter dem Einkaufszentrum sind noch Baugrundstücke frei. In anderen Stadtvierteln gibt es viele leere Grundstücke, weil viele Häuser abgerissen wurden.

„Es gibt mehr Geschäfte als vor der Katastrophe“, sagt der 39 Jahre alte Kentaro Suzuki von der örtlichen Fischereikooperative und berichtet noch von anderen Hoffnungszeichen. „Die Stimmen der Kinder sind ermutigend.“ Tatsächlich haben sich wieder Familien in Naraha angesiedelt. Kinder und Jugendliche gibt es aber weniger als im Landesdurchschnitt. Doch von April an werden die beiden zuvor wegen Schülermangel zusammengelegten Schulen wieder getrennt.

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