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#Gletscher: Jedes Zehntelgrad zählt

„Gletscher: Jedes Zehntelgrad zählt

Weltweit schmelzen die Gletscher immer schneller, doch was dies für die Zukunft bedeutet, ließ sich mit bisherigen Modellen nur grob prognostizieren. Jetzt hat ein internationales Forschungsteam ein neues Gletschermodell entwickelt, das auf Basis neuester Daten und Erkenntnisse zur Gletscherdynamik erstmals eine individuelle Prognose für alle gut 215.000 Gletscher weltweit erlaubt. Die Simulationen zeigen, dass beim gegenwärtigen Kurs auf eine Erwärmung von 2,7 Grad bis 2100 fast zwei Drittel aller Gletscher verschwinden könnte. Gebirge in Europa und anderen mittleren Breiten wären dadurch weitgehend eisfrei. Die neuen Projektionen zeigen aber auch, dass es noch nicht zu spät ist: Jedes Zehntelgrad weniger zählt, um das Abschmelzen einzudämmen.

Ob auf Grönland, in der Antarktis oder in den Hochgebirgen: Fast überall auf der Welt schmelzen die Gletscher, der Klimawandel lässt ihre Eismassen immer schneller schwinden. Selbst die lange stabilen Gletscher der Ostantarktis und des Himalaya verlieren zusehends an Dicke und Volumen, wie Wissenschaftler ermittelt haben. In einigen Regionen Grönlands und der Westantarktis könnte die Eisschmelze sogar schon zum Selbstläufer geworden sein – sie wird selbst bei sofortigem Stopp der Erwärmung noch Jahrzehnte bis Jahrhunderte weitergehen. Auch im jüngsten Bericht des Weltklimarats IPCC aus dem Jahr 2021 wiesen Wissenschaftler auf die dramatischen und anhaltenden Folgen der weltweiten Gletscherschmelze hin: Durch das Schwinden der Eiskappen könnte der Meeresspiegel demnach noch über Jahrhunderte bis Jahrtausende weiter ansteigen und dann tausende Jahre hoch bleiben, so die IPCC-Autoren. Zudem sind gerade die Gebirgsgletscher wichtige Wasserressourcen für Millionen Menschen.

Erste individuelle Prognose für alle Gletscher

Entsprechend wichtig ist es, die Entwicklung der Gletscherschmelze möglichst präzise vorhersagen zu können. Bisher beruhten die meisten dafür verwendeten Modelle allerdings auf relativ standardisierten und vereinfachten Parametern für die Gletscherdynamik, die nicht die individuellen Bedingungen und Prozesse der einzelnen Gletscher widerspiegelten – und daher zwangsläufig ungenau waren. Ein internationales Team um David Rounce von der Carnegie Mellon University in Pittsburgh hat nun ein neues, genaueres Modell entwickelt, das die glaziale Dynamik und die für die Eisbilanz wichtigen Prozesse umfassender und detaillierter widerspiegelt. “Wir haben in dieser Studie die Methodik prinzipiell verbessert, da wir Satelliten-Beobachtungen und Modelle miteinander kombiniert haben und somit auch regionale Besonderheiten und die dynamische Entwicklung genau berücksichtigen können”, erläutert Co-Autor Fabien Maussion von der Universität Innsbruck.

Die aus zwei früheren Modellen kombinierte Simulation liefert nun erstmals Prognosen für jeden einzelnen der mehr als 215.000 Gletscher weltweit und seine Entwicklung im Zeitraum von 2015 bis 2100. Für ihre Studie haben die Forscher dieses Modell genutzt, um die künftige Gletscherentwicklung für vier Klimaszenarien zu berechnen. Diese Szenarien umfassen als “Best-Case” eine globale Erwärmung um 1,5 Grad gegenüber präindustriellen Werten, wie es das Klimaabkommen von Paris anstrebt, außerdem eine Erwärmung von zwei, drei und vier Grad bis zum Jahr 2100. „Wir sind aufgrund des aktuellen Niveaus der Emissionen leider auf dem Weg in Richtung einer Temperaturzunahme von 2,7 Grad”, sagt Maussion. Was das für die Berggletscher und polaren Eismassen bedeuten wird, haben er und seine Kollegen nun ermittelt.

Europa eisfrei schon ab 2,7 Grad Erwärmung

Die Ergebnisse bestätigen den anhaltenden Schwund der weltweiten Gletscher: Selbst wenn es gelänge, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, würden die Eisströme bis zum Jahr 2100 rund ein Viertel ihrer Eismasse verlieren. Gut 100.000 Gletscher – fast die Hälfte des Bestands – würden bis dahin komplett abschmelzen und verschwinden. Mit jeder zusätzlichen Erwärmung nimmt der Eisverlust zu: Kommt es zu einer Erwärmung von 2,7 Grad, wie es beim bisherigen Kurs der Klimaschutzbemühungen zu erwarten ist, dann könnten schon zwei Drittel aller Gletscher betroffen sein, wie die Wissenschaftler berichten. Dies hätte zur Folge, dass die Hochgebirge der gemäßigten Breiten wie in Mitteleuropa, Westkanada, USA sowie Neuseeland fast ihr gesamtes Eis verlieren könnten. Bei einer Erwärmung von drei bis vier Grad würden 83 Prozent aller Gletscher weltweit verschwinden, der Masseverlust läge insgesamt bei 41 Prozent.

“Die Entwicklung der Temperatur hat demnach einen erheblichen Einfluss auf den Masseverlust, in einigen Fällen entscheidet sie darüber, ob eine Region bis zum Ende des 21. Jahrhunderts vollkommen eisfrei werden wird”, schreiben Rounce und seine Kollegen. Gleichzeitig hat die Gletscherschmelze auch erhebliche Auswirkungen auf den Meeresspiegel – und auch dafür liefert das neue Modell nun genauere Zahlen. Demnach werden die Pegel bei einer Erwärmung um 1,5 Grad allein durch die Gletscherschmelze um 90 Millimeter bis zum Jahr 2100 ansteigen. Bleibt der bisherige Klimakurs auf 2,7 Grad erhalten, wären es 115 Millimeter und bei einer Erwärmung um vier Grad würde der Meeresspiegel um 154 Millimeter ansteigen. Aus den Simulationen geht damit aber auch hervor, dass es noch möglich ist, die schlimmsten Szenarien abzuwenden. “Für sehr viele Gletscher ist es leider schon zu spät, aber das heißt nicht, dass wir nichts mehr tun können”, sagt Maussion. “Jede Reduktion der Treibhausgasemissionen und damit die Abkehr von fossilen Brennstoffen trägt dazu bei, noch bestehende Eismassen zu retten und den Anstieg des Meeresspiegels einzugrenzen.”

Quelle: David Rounce (Carnegie Mellon University, Pittsburgh) et al., Science, doi: 10.1126/science.abo1324

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