Nachrichten

#Wenn Gott die Welt nochmal erschafft

Dieser Roman fängt mit dem größten aller denkbaren Rücktritte an: „Als Gott Himmel und Erde erschaffen hatte, trat er zurück, um die Schöpfung zu betrachten, wie ein Maler von der Staffelei. Dies ist der Moment, in dem wir leben – der Moment, in dem Gott zurücktritt.“ Diesen ersten Satz des Romans „Reine Farbe“ muss man in seiner Doppeldeutigkeit ernst nehmen, um sich über das freuen zu können, was in der darauffolgenden wilden Mischung aus kabbalistischem Essay, großer surrealer Liebesgeschichte, Theorie der ästhetischen Wahrnehmung und epischem Klagelied passiert: Gott tritt zurück, um, wie ein Künstler, besser sehen zu können, was er geschaffen hat. Und Gott tritt zurück, wie ein Politiker unter dem Druck seiner großen Fehler zurücktritt, und hinterlässt eine nicht mehr steuerbare, in ihrem Chaos umwerfende und umwerfend schöne Welt, die langsam überhitzt und so aus den Fugen gerät, dass er bald eine neue wird bauen müssen.

Das jedenfalls ist der Verdacht, die Befürchtung von Mira, der Hauptfigur des Romans. „Heute“, denkt sie, „erwärmt sich die Erde im Vorgriff auf ihre Zerstörung durch Gott (…). Bereit, sich ein zweites Mal an der Schöpfung zu versuchen und sie diesmal besser hinzukriegen, erscheint Gott, teilt und manifestiert sich in Gestalt dreier Kunstkritiker am Himmel – ein großer Vogel, der von oben her urteilt, ein großer Fisch, der aus der Mitte heraus urteilt, und ein großer Bär, der urteilt, während er die Schöpfung in den Armen wiegt“.

Welterklärungsmodell in der Waschmaschine

Wie? Der Kritiker der „New York Times“ hat in seiner respektvoll verblüfften Rezension geschrieben, es sei offenbar so, dass Sheila Heti sich nach ihren großen Erfolgen als Schriftstellerin, die ihr den Titel einer der wichtigsten weiblichen Stimmen der amerikanischen Literatur im 21. Jahrhundert eintrugen, entschieden habe, eher weniger verständlich und begreifbar zu sein – und wer eine traditionell durcherzählte Great American Novel im Stil von Jonathan Franzen erwarte, werde sich in diesem Roman bald fühlen wie die Wäsche in der Waschmaschine. Hetis „Reine Farbe“ müsse man eher als kabbalistisch-magischen Realismus bezeichnen, als experimentelles erzählerisches Welterklärungsmodell. Es gibt drei Typen von Menschen in diesem Roman – die aus dem Vogelei geborenen, die die Welt aus der Distanz kühl von oben sehen; die Fischgleichen, denen es vor allem im Kollektiv gut geht, und die Bären, die sentimental nur für die Nähe leben, es warm haben, den anderen riechen und berühren wollen und sonst keine höheren Ideale haben. „Diese Geschichte handelt von einer vogelgleichen Frau namens Mira“, heißt es. Mira liebt sowohl die rätselhafte Annie, die ein Fischwesen hat, als auch ihren Vater, der ein Bär ist.

Sheila Heti wurde 1976 in Toronto geboren, sie studierte dort Kunstgeschichte und Philosophie und wurde für ihre Romane ebenso gefeiert wie für ihre Essays. Zuletzt erschien „Mutterschaft“, ein autofiktionales Buch über den Druck, Kinder kriegen zu müssen, die Unsicherheit, ob man es will, und auch über Hetis Gefühl, gegenüber ihren jüdischen Vorfahren eine Verpflichtung zur Fortpflanzung zu haben – eine von Hetis Großmüttern war eine Holocaustüberlebende.

In der Einsamkeit eines Lampenladens

In ihrem neuen Roman gibt es zwei große, ständig durcheinanderstrudelnde Erzählströme – den metaphorisch-mythologischen der Götter, Bären, Vögel und Fische und die Geschichte einer jungen Frau. Mira arbeitet in einem Lampengeschäft, das gegenüber einem Laden für moderne Halogenstrahler liegt, dessen Geschäft deutlich besser läuft. Bevor sie abends schließen, muss Mira die Lampen einzeln ausschalten. Der Mann gegenüber tut das Gleiche. Sie sehen sich, in einem Moment ferner Solidarität, sie und der andere Leuchtmittel-Sisyphos, die auf der Welt das Licht ausmachen und sich nie näherkommen.

Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.

Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.

Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.

Quelle

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Please allow ads on our site

Please consider supporting us by disabling your ad blocker!