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#Sie nennen es Freiheit

Sie nennen es Freiheit

Der Philosoph Richard David Precht, der sich gerne als sensiblen Denker präsentiert, mag keine Männer, die in seinen Augen zu sensibel sind, nicht wirklich männlich, zu weich – dann fehlt ihnen etwas Grundlegendes. Sie sind für ihn wie „alkoholfreies Bier“. Wenn schon Bier, dann doch bitte richtiges. Er sitzt im Fernsehstudio, umhüllt von Dunkelheit, in einem braunen Designer-Sessel, klagt über neue Zwänge und zu wenig Erotik in der Gesellschaft. Ihm gegenüber hat, ebenfalls im Dunkeln, seine Kollegin Svenja Flaßpöhler Platz genommen, nur ihre Köpfe werden aus vielen Lichtquellen von oben hell angestrahlt, was vermutlich so etwas wie der gestirnte Himmel über ihnen sein soll.

Julia Encke

Verantwortliche Redakteurin für das Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin.

„Sensibilisieren wir uns zu Tode?“, heißt die Sendung, die an diesem Sonntagabend im Zweiten Deutschen Fernsehen ausgestrahlt wird – und an der etwas sichtbar wird, was man in der anhaltenden Pandemie insgesamt beobachten kann: wie nämlich ein Diskurs, der die angebliche Beschneidung von Freiheit, gesellschaftliche Zwänge und selbst auferlegte Zensur beschwört, vom Milieu der Impfskeptiker und Corona-Leugner allmählich in die bürgerliche Mitte transportiert wird. Dort wird er mit philosophischer Versiertheit und mit der philosophischen Bibliothek des ganzen Abendlandes im Rücken besonders kultiviert zelebriert.

Flaßpöhler, Chefredakteurin des Philosophie Magazins, hat in ihrem kürzlich erschienenen Buch „Sensibel – Über moderne Empfindlichkeit und die Grenzen des Zumutbaren“ einen Großstadt-Mann namens Jan erfunden, gehobene Mittelklasse, verheiratet, zwei Kinder im Grundschulalter. Einer, der, als er selbst klein war, kein einziges Mal geschlagen wurde. „Auch bei seinen Kindern“, heißt es im Buch, setze er auf „die Kraft von Zuwendung und Diskurs“, nehme sich Zeit für sie, schmuse und spreche ausführlich mit ihnen. Und wenn er seiner sechsjährigen Tochter „Pippi Langstrumpf“ vorlese, lasse er das „N-Wort“ weg und sage stattdessen „Südseekönig“, damit sein Kind die Bezeichnung, mit der Schwarze Menschen jahrhundertelang herabgewürdigt wurden und immer noch werden, gar nicht erst in seinen Wortschatz übernehme.

Der Philosoph Richard David Precht


Der Philosoph Richard David Precht
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Bild: dpa

Der Mann ist also sensibel in „Sensibel“ – und Precht findet ihn fad: „Dieser Jan“, sagt er und sucht den Blick seines Gegenübers, „kommt in Ihrer Beschreibung so erotisch rüber wie Löschpapier. Man hat das Gefühl, er hat seinen erotischen Kern verloren. Ist das nicht alkoholfreies Bier? Geht da nicht eine Menge verloren, wenn ich nur in Schutzräumen bestimmte Verhaltensweisen ausagieren kann?“

Der Soziologe Norbert Elias, weiß die Philosophin, habe beschrieben, wie im 11. Jahrhundert die Notdurft nicht mehr im selben Raum verrichtet worden sei, in dem man auch gegessen habe – wie man das dann ausgelagert habe. Genauso lagerten wir jetzt am Arbeitsplatz die Erotik aus, um uns von Missbrauchsmöglichkeiten zu befreien. Mit guten Motiven also. „Aber ich glaube, der Schuss geht wirklich nach hinten los“, so Flaßpöhler, „denn man hat keine Lebendigkeit mehr.“ Sensibilisierung gehe mit „Regulation“ einher. „Selbstzensur“ sei die „Kehrseite der freiheitlichen Gesellschaft“; Sprache werde „neu reguliert“, das soziale Umfeld werde „reguliert“. Wir drohten in eine „gesellschaftliche Sterilität hineinzukommen“. – Die beiden hören gar nicht auf, in immer neuen Wendungen die selbst gewählte Unfreiheit zu beschwören, in die wir uns angeblich hineinbewegen oder in der wir uns ihnen zufolge bereits befinden.

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