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#Schnaps ist nie mehr Schnaps

„Schnaps ist nie mehr Schnaps“

Ein verstecktes Gebäude am Waldrand, jahrhundertealt, hexenhäuschenklein, zappenduster wie eine Geisterbehausung bei Wilhelm Hauff, darin ein archaischer Brennofen, in dem ein Buchenholzfeuer lodert, um Maische aus schwarzen Kirschen zu erhitzen, ein, zwei Stunden lang, bis wie von Zauberhand eine glasklare Flüssigkeit über Kühlungsrohre in einen Eimer rinnt – reinstes Schwarzwälder Kirschwasser, eine Kostbarkeit aus Handarbeit. Das alles überwacht mit Argusaugen der Brennmeister, der Hände wie Schraubstöcke, einen Nacken wie Minotaurus und auch sonst alle Voraussetzungen hat, um in einem Gangster-Film über die Prohibition mitzuspielen, wie überhaupt die ganze Szenerie an die wilde Zeit des klandestinen Schwarzbrennens erinnert. Doch weit gefehlt: Josef Sester hat seinen Brenntag ordnungsgemäß bei den Zollbehörden angemeldet, zahlt seine Spirituosensteuer auf Heller und Pfennig und gehört keineswegs zu den Schatten­gestalten seines Heimatdorfes Ödsbach im Renchtal, sondern zu dessen hochrespektabler Mehrheit.

Ein gesegneter Landstrich: Kaum irgendwo sonst in Deutschland wächst Obst so gut wie im Renchtal.


Ein gesegneter Landstrich: Kaum irgendwo sonst in Deutschland wächst Obst so gut wie im Renchtal.
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Bild: Schwarzwald Tourismus

Zweihundert Privatbrennereien gibt es in dem 1500-Seelen-Dorf, 796 sind es im Kreisstädtchen Oberkirch, der übergeordneten Gemeinde, die sich damit zweifelsfrei den Titel der Welthauptstadt des Schnapsbrennens verdient – wobei die Brenner die Bezeichnung Edelbrand dem Wort Schnaps entschieden vorziehen. Diesen Weltrekord hat Oberkirch nicht nur der Fruchtbarkeit des Renchtals, sondern auch dem Bischof von Straßburg zu verdanken, der seiner rechtsrheinischen Besitzung 1726 das Brennereirecht verlieh, weil die Bauern ihre Unmengen von Obst anders gar nicht verarbeiten konnten. So entstand eine tiefe Symbiose aus Mensch, Obst und Schnaps, die bis heute prachtvoll weiterlebt: Man sieht sofort, dass das Renchtal eine lebendige Kulturlandschaft ist, in der noch das letzte Birnbäumchen liebevoll gehegt wird und sich die Obstwiesen mit den Weingärten und bewaldeten Flanken des Schwarzwalds zu einem Tableau pittoresken Idylls voller uralter Preziosen fügen – wie dem Sesterhof, der aus dem 16. Jahrhundert stammt, seither nahezu unverändert geblieben ist, in siebter Generation von den Sesters bewirtschaftet wird und unter seinen Kastanien auch Gäste zu Kaffee und Schnaps willkommen heißt.

Ein Ritt auf der Rasierklinge

Erfahrung und Sorgfalt sind Alpha und Omega der Brennkunst, selbst wenn Josef Sesters Kollege Johannes Halter tiefstapelt und sagt, dass gutes Obst zu 85 Prozent für einen guten Brand verantwortlich sei. Er muss es wissen, denn er ist einer der wenigen Edelbrand-Sommeliers in Deutschland, hat bei Wettbewerben Goldmedaillen im Dutzend gewonnen und gehört mit seinen 41 Jahren zu einer neuen Generation Schwarzwälder Brennmeister, die alte Zöpfe abschneiden, ohne die Wurzeln zu kappen. Halter verarbeitet nur Obst von bester Qualität, achtet penibel auf den idealen Reifegrad und nimmt weder zu grüne noch überreife Kirschen oder Zwetschgen, weil der Brand dann entweder flach oder buttrig wird. Geerntet wird frühmorgens, um noch am selben Tag brennen zu können, denn beim Qualitätsobstschnaps kommt es wie bei Austern auf jede Stunde Frische an. Die Vergärung findet bei zwanzig Grad statt, damit sich die Aromen behutsam entwickeln und in der Maische bleiben. Und das Brennen ge­schieht ganz langsam, weil Halter nur dann exakt den Punkt treffen kann, an dem sich die Spreu vom Weizen trennt.

Geduldsprobe: In den Steingutamphoren der Feingeistbrennerei Fies reifen die Brände viele Jahre lang.


Geduldsprobe: In den Steingutamphoren der Feingeistbrennerei Fies reifen die Brände viele Jahre lang.
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Bild: Feingeistbrennerei Fies

Drei sogenannte Fraktionen entstehen beim Brennen, der Vorlauf, das Herzstück und der Nachlauf. Der Vorlauf schmeckt nach Klebstoff, der Nachlauf nach Seife, allein das Mittelstück ergibt einen guten Brand. Deswegen sitzt Halter wie ein Kiebitz vor seinem Kessel, um den Wechsel der Fraktionen sekundenschnell erriechen zu können. „Das ist jedes Mal ein Ritt auf der Rasierklinge, weil der Anfang und das Ende des Herzstücks den intensivsten Geschmack haben und jeder Brennmeister möglichst viel davon in seine Flasche bringen will“ – immer mit dem Risiko, den Bogen zu überspannen und das Aroma zu ruinieren. Selbst Könnern wie Halter passiert das manchmal, doch in den allermeisten Fällen schmecken seine Edelbrände wie der destillierte Geist einer Mirabelle, Kirsche oder Jerusalemartischocke, wie ihre tiefste, konzentrierteste Seele, eine hocharomatische Ode an die Frucht, trotz des vielen Alkohols so leicht und frisch, so rein und klar und frei von allen Fehlnoten, wie es die Industrieprodukte mit ihrer automatisierten Fraktionentrennung niemals sein können.

An der Ehrenrettung des Schwarzwälder Schnapses arbeiten nicht nur Privatbrenner und Edelbrand-Sommeliers, sondern auch die Großbetriebe des Tals wie die Feingeistbrennerei Fies, die ihrem traditionsreichen Kirschwasser-Etikett mit dem Schwarzwälder Bollenhut ein Hipster-Image verpasst hat und gemeinsam mit engagierten Jungbauern für das Überleben seltener Obstsorten sorgt – etwa der Bühler Zwetschge, die extrem aromatisch, aber leicht verderblich ist, oder dem Zibärtle, einer Schwarzwälder Wildpflaume, die nach Marzipan und Bittermandel schmeckt. Die besten Tropfen lagern bei Fies jahrelang in großen Steingut-Amphoren, weil ihre atmungsaktive Oberfläche den Schnaps reifen lässt wie Wein in Fässern. Manche Raritäten kommen selbst ins Holz und werden dadurch so fein, so eigenwillig, so kunstvoll, dass jeder Schwarzwald-Gin daneben wie Feuerwasser aus einer Hafenspelunke schmeckt – wie das Kirschwasser Momentum, das acht Jahre lang reifen durfte, dann in eine kostbare Karaffe mit dem klassischen Rautenrelief gefüllt wird und dank seiner filigranen Opulenz, seiner schmeichelnden Weichheit zu einem Wundertrunk wird, für den das Wort Schnaps viel zu vulgär ist. Wir nehmen uns fest vor, es nie wieder zu benutzen.

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