Wissenschaft

#Wie sich Meisen an verstecktes Futter erinnern

Wenn wir zu Ostern Eier verstecken, fällt es uns oft gar nicht so leicht, uns später an jedes einzelne Versteck zu erinnern. Vor einem ähnlichen Problem stehen auch Tiere wie Eichhörnchen und Singvögel, die ihr Futter verstecken, um es sich später wiederzuholen. Obwohl das eine oder andere Versteck unentdeckt bleibt, sind sie erstaunlich gut darin, die meisten ihrer Vorräte wiederzufinden. Eine Studie an Meisen zeigt nun, welche neuronalen Prozesse dabei ablaufen. Demnach erhält jedes Versteck im Meisengehirn einen einzigartigen „Barcode“, der beim Wiederfinden reaktiviert wird.

Im Winter finden viele Tiere hierzulande nur wenig Futter. Während einige Vögel das Problem umgehen, indem sie rechtzeitig gen Süden ziehen, haben andere Tiere Strategien entwickelt, die kalte Jahreszeit vor Ort zu überstehen. Eichhörnchen, Hamster, aber auch viele Singvögel legen dafür im Herbst Vorräte an, von denen sie im Winter zehren können. So auch die Schwarzkopfmeise (Poecile atricapillus) in Nordamerika: Bis zu 5000 Verstecke pro Tag legt sie an. Wie sie es schafft, sich später daran zu erinnern, stellte die Wissenschaft bisher vor Rätsel.

Einblicke ins Meisengehirn

Um dem Geheimnis der tierischen Gedächtniskünstler auf die Spur zu kommen, fing ein Team um Selmaan Chettih von der Columbia University in New York einige freilebende Schwarzkopfmeisen ein und implantierte ihnen winzige Elektroden in den Hippocampus. Diese Region des Gehirns ist entscheidend für das episodische Gedächtnis. Anschließend setzten die Forschenden die Meisen in eine eigens dafür hergerichtete Umgebung mit 128 möglichen Verstecken und stellten ihnen Sonnenblumenkerne zur Verfügung.

Mit Hilfe von Videokameras zeichneten Chettih und sein Team auf, wann die Meisen Futter versteckten oder wiederfanden. Dank der implantierten Elektroden konnten sie dabei genau nachvollziehen, was währenddessen im Gehirn der Vögel vor sich ging. „Jeder Versteckvorgang ist ein klar definierter, offenkundiger und leicht zu beobachtender Moment, in dem ein neuer Gedächtnisinhalt gebildet wird“, sagt Chettihs Kollege Dmitriy Aronov. „Indem wir uns auf diese besonderen Momente konzentrierten, konnten wir Muster der Gedächtnisaktivität erkennen, die zuvor nicht bemerkt worden waren.“

Barcode für jedes Versteck

Dabei machten die Forschenden eine erstaunliche Beobachtung: „Wir haben herausgefunden, dass jede Erinnerung mit einem einzigartigen Aktivitätsmuster im Hippocampus versehen ist“, berichtet Aronov. „Jedes Mal, wenn ein Vogel Futter in ein Versteck legte, reagierten etwa sieben Prozent der Neuronen im Hippocampus auf spezifische Weise. Bei einem anderen Versteck reagierte eine andere Gruppe von sieben Prozent der Neuronen.“ Wenn sich die Meise das Futter später wiederholte, wurde die mit diesem Versteck verknüpfte Gruppe von Neuronen reaktiviert.

„Wir haben diese Muster ‚Barcodes‘ genannt, weil sie sehr spezifische Kennzeichnungen für einzelne Erinnerungen sind – zum Beispiel sind die Strichcodes zweier verschiedener Verstecke unkorreliert, selbst wenn diese direkt nebeneinander liegen“, erklärt Aronov. Auch wenn eine Meise zu unterschiedlichen Zeitpunkten am gleichen Ort Futter versteckte, wurde dies im Hippocampus unterschiedlich codiert.

Unabhängig von Ortszellen

Die Messungen der Hirnaktivität zeigen, dass die „Barcode-Neuronen“ unabhängig von der Aktivität anderer Neuronen im Hippocampus feuern – auch unabhängig von den sogenannten Ortszellen, die eine räumliche Kartierung der Umgebung ermöglichen. „Bisher ging man davon aus, dass das episodische Gedächtnis etwas mit Veränderungen in den Ortszellen zu tun haben muss. Zum Beispiel könnten die Ortszellen ihr Feuern in der Nähe des Ortes, an dem Futter versteckt wurde, erhöhen oder verringern“, sagt Aronov. „Wir haben herausgefunden, dass sich die Ortszellen nicht wirklich verändern, wenn Vögel neue Erinnerungen bilden. Stattdessen gibt es beim Verstecken von Nahrung ein zusätzliches Aktivitätsmuster, den ‚Barcode‘, das mit den Ortszellen koexistiert.“

Wie genau der Barcode die Meise dazu veranlasst, ein bestimmtes Versteck wieder aufzusuchen, wollen die Forschenden in zukünftigen Studien untersuchen. Da sie in der aktuellen Studie jeweils nur die neuronale Aktivität in den Momenten beobachteten, wenn eine Meise Futter in ein Versteck hineinlegte oder herausholte, ist unklar, inwieweit das entsprechende neuronale Muster schon vorher wieder aktiviert wurde. „Wir wollen die Momente identifizieren, in denen ein Vogel an einen Ort denkt, aber noch nicht dort ist, und herausfinden, ob die Aktivierung eines Strichcodes einen Vogel dazu bringt, einen Cache aufzusuchen“, sagt Chettih. Zusätzlich wollen sie klären, ob ähnliche Mechanismen auch bei anderen Tieren vorkommen – womöglich auch beim Menschen.

Quelle: Selmaan Chettih (Columbia University, New York) et al., Cell, doi: 10.1016/j.cell.2024.02.032

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