Nachrichten

#„Es war ein Gewaltrausch“

Inhaltsverzeichnis

„„Es war ein Gewaltrausch““

Herr Bußmann, wie geht es Ihnen?

Stefan Locke

Korrespondent für Sachsen und Thüringen mit Sitz in Dresden.

Danke der Nachfrage. Ich habe noch ein paar Schmerzen, bin aber ansonsten okay.

Was ist Ihnen passiert?

Ich bin um halb 9 aus dem Büro und dann zu Fuß nach Hause gegangen, als ich von weitem schon eine Gruppe Jugendlicher gesehen haben, die laut war und herumgegrölt hat. Ich wollte erst weitergehen, aber dann hörte ich immer wieder „Sieg-Heil“-Rufe und sah, wie sie den Hitlergruß zeigten. Da bin ich direkt zu ihnen gegangen und habe gesagt, dass ich das scheiße finde. Es waren Jugendliche, keine Hooligans, da wäre ich wahrscheinlich weitergelaufen. Aber ich fand das alles völlig unangemessen.

Wie war die Reaktion?

Sie sind sofort auf mich losgegangen, haben mich angeschrien, und einer hat mir ins Gesicht geschlagen. Es waren vielleicht sechs, sieben Jugendliche, und drei von ihnen waren extrem aggressiv. Ein Junge hat sich regelrecht in einen Gewaltrausch gesteigert. Ich bin eher robust gebaut, aber er hat mir immer wieder in den Rücken getreten und ins Gesicht geschlagen. Da ist dann meine Brille zerbrochen. Glücklicherweise kam dann ein Stadtbus, den konnte ich auf der Straße anhalten. Ich bin dann rein und habe den Fahrer gebeten, mich bei der Polizeistation rauszulassen. Ich hatte wirklich Angst, dass sie mir hinterherlaufen.

Die Polizei konnte kurz darauf fünf Jugendliche stellen, der jüngste 15, der älteste 20 Jahre alt.

Ich habe noch am Abend Anzeige erstattet und ich hoffe, dass da jetzt ernsthafte Konsequenzen folgen. Die hatten überhaupt kein Bewusstsein für die Lage, es war eine unglaubliche Verrohung.

Sie leben seit vier Jahren in Chemnitz. Haben Sie oder Bekannte von Ihnen so etwas schon mal erlebt?

Ich bin 2018, als ich ganz frisch in der Stadt war, während der Ausschreitungen, die es damals gab, mal angepöbelt worden. Das war so im Bereich des unerträglich Erträglichen. Aber der Angriff jetzt wirkt wie eine Wiederkehr der Neunzigerjahre, als Neonazis in vielen Städten geprügelt haben. Ich will gleich klarstellen, dass einem besoffene Jugendliche, die Neonazi-Sprüche brüllen und herumprügeln in jeder deutschen Stadt begegnen können. Aber ich will auch nicht bagatellisieren, dass es schon ein paar Chemnitzer Besonderheiten gibt.

F+Newsletter – das Beste der Woche auf FAZ.NET

Samstags um 9.00 Uhr

ANMELDEN


Was meinen Sie damit?

Es gibt in Chemnitz eine zu große stille Mitte. Die Zahl der Rechtsextremisten ist wahrscheinlich gar nicht größer als anderswo, die der Rechtspopulisten wohl schon. Aber die schweigende Mehrheit ist ein Problem. Die meisten wären wahrscheinlich an der Sieg-Heil-schreienden Gruppe vorbeigelaufen und hätten ihre Ruhe gehabt. Aber ich finde das falsch. Wenn sich die gesellschaftliche Mitte immer raushält, dominiert die laute, radikale Minderheit das Bild. Das dürfen wir uns nicht gefallen lassen.

Nun wird Chemnitz 2025 Kulturhauptstadt Europas sein. Ist das ein Rückschlag für das Projekt?

Nein. Die Stadt hat ja in der Bewerbung gar nicht erst versucht, Rechtsextremismus unter den Teppich zu kehren, sondern das Problem und den Umgang damit explizit zum Thema gemacht. Das finde ich gut, und wir werden uns von den Kunstsammlungen daran auch beteiligen. Wir hatten schon nach den Ausschreitungen 2018 einen sogenannten Open Space direkt hinter dem Karl-Marx-Kopf im Zentrum initiiert. Dort haben sich verschiedene gesellschaftliche Gruppen bei Filmen, Ausstellungen und Diskussionen getroffen. Die Stadt braucht dringend solche Räume des Zusammenhalts. In Münster, wo ich herkomme, ist das zum Beispiel der Wochenmarkt. In Chemnitz passiert das so nicht, da treffen sich die verschiedenen Teile der Gesellschaft nicht so einfach. Deshalb wollen wir diesen Open Space jetzt wiederbeleben. Das war schon vor der Attacke auf mich geplant, die aber die Notwendigkeit eines solchen Ortes noch mal unterstreicht.

Bergen solche Projekte nicht die Gefahr, dass sich dort die ohnehin Wohlmeinenden treffen und sich gegenseitig ihres Wohlmeinens versichern?

Es ist völlig klar, dass man damit nie alle Teile der Stadtgesellschaft erreichen wird. Und ich sage Ihnen ganz offen: Mit Rechtsextremisten und Neonazis will ich nicht diskutieren. Das lehne ich ab. Aber man kann Allianzen schaffen, Akteure zusammenbringen und Leuten aus der stillen Mitte das Gefühl geben, dass es auf sie ankommt. Das ist ein zentrales Element der Kulturhauptstadtbewerbung: Die Ohnmacht, die viele verspüren, und die sich dann gegen eine imaginäre Elite, „die da oben“, richtet, wollen wir überwinden helfen und Selbstwirksamkeit anregen. Jeder Mensch muss selbst Wertschätzung spüren, um Verantwortung zu übernehmen. Deshalb bin ich eingeschritten, ich wollte nicht wegschauen. Ich bin deshalb kein Held, wie manche jetzt meinen. Nein, ich finde, so etwas sollte selbstverständlich sein.

Sie haben den Angriff selbst via Twitter öffentlich gemacht. Welche Reaktionen gab es darauf?

Sehr viele sehr solidarische Reaktionen, vom Oberbürgermeister bis zum Ministerpräsidenten, der mich sofort angerufen hat. Ich bin ziemlich baff über die große Anteilnahme und den Zuspruch von vielen Bürgern, aber auch von Museumskollegen. Das bestärkt mich alles sehr.

Wissen war nie wertvoller

Lesen Sie jetzt F+ zwei Monate kostenlos und erhalten Sie Zugriff auf alle Artikel auf FAZ.NET.

JETZT F+ LESEN

Werden Sie in Chemnitz bleiben?

Es ist alles noch sehr frisch. Ich bin sehr nachdenklich, wie es weitergeht. Momentan überwiegt bei mir aber das Gefühl, dass wir, also die Stadt und auch die Region, gemeinsam aus dieser Situation herauskommen müssen. In der Nachbarstadt Zwickau wird der Kunstverein ständig von Neonazis bedroht. Das muss jetzt endlich alles adressiert und angegangen werden. Eine große Bedeutung sehe ich da bei der demokratischen Bildung und der Schulbildung. Mein Sohn zum Beispiel geht in die fünfte Klasse und hat nur alle zwei Wochen zwei Stunden Geschichte. Sachsen legt dagegen sehr viel Wert auf MINT-Fächer. Aber das ist nicht genug, das ist offensichtlich ein Defizit.

Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.

Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.

Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.

Quelle

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Please allow ads on our site

Please consider supporting us by disabling your ad blocker!