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#So muht die Vorgeschichte

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So muht die Vorgeschichte

Ein „öliger Kuchen“ ist der große Verkaufsschlager in einer dreckigen Siedlung im amerikanischen Nordwesten um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Eigentlich sind die Leute, die hier weit entfernt von der Zivilisation mit Biberfellen handeln, an kulinarische Genüsse nicht gewöhnt. Als der gelernte Bäcker Otis Figowitz, genannt Cookie, mit seinen „oily cakes“ auftaucht, reißen sich aber auch grobe Gesellen darum und zahlen hohe Preise für ein paar Bissen Süßes.

Die Backwaren haben ein Geheimnis: sie enthalten Milch. Und es gibt im ganzen Territorium nur eine Kuh. Sie gehört dem wichtigsten Mann in der Gegend, genannt Chief Factor. Er hat das kostbare Tier aus San Francisco in eine Gegend bringen lassen, in der die Geschichte noch nicht begonnen hat: „History isn’t here yet.“ Mit diesem Satz aus Kelly Reichardts Film „First Cow“ wird deutlich, dass die bedeutende Independent-Regisseurin einmal mehr eine Geschichte von den Anfängen der menschlichen Gesellschaft in Amerika erzählt. Im vergangenen Sommer, in dem in Amerika der ganze Westen von Flammen bedroht schien, war Reichardt, die in New York und Oregon lebt, so etwas wie die amerikanische Filmemacherin der Stunde. Denn Portland war auch eine der Städte, in denen sich nach dem Tod von George Floyd und den darauffolgenden Protesten gegen Rassismus eine besonders aktive Gegenkultur manifestierte. Es ist eine Kultur, zu der Reichardt, wiewohl in Florida geboren, immer schon intensive Beziehungen unterhalten hat. Eine der für diese Beziehungen nötigen Verbindungspersonen ist der Autor Jon Raymond, geboren in Lake Grove, Oregon. Er ist für die Karriere von Reichardt als einer der wichtigsten unabhängigen amerikanischen Filmemacherinnen von kaum zu überschätzender Bedeutung.

Auch die Kuh trägt ein historisches Kostüm, wenn der Film im Wilden Westen spielt: John Magaro ist tierlieb


Auch die Kuh trägt ein historisches Kostüm, wenn der Film im Wilden Westen spielt: John Magaro ist tierlieb
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Bild: AP

„First Cow“ beruht auf seinem bisher ambitioniertesten Roman „The Half-Life“, aus dem der Film allerdings nur eine Episode aufgreift. Bei Raymond sind zwei Zeiten und zwei Orte miteinander verschränkt: das frühe 19. und das späte 20. Jahrhundert; der amerikanische Westen und China. Der Roman ist eine groß angelegte Parallelmontage, in der sowohl die Handelsbeziehungen der Pionierära wie auch die alternativen Milieus nach 1968 in den Blick genommen werden. Reichardt hingegen konzentriert sich auf eine Episode und einen Konflikt: denn Cookie und sein Partner King-Lu (ein früher Sinoamerikaner) melken die „erste Kuh“ jeden Abend heimlich, sie stehlen also die Milch. Und ihre ursprüngliche Akkumulation ist ständig durch Entdeckung gefährdet. Sie möchten mit dem verdienten Geld gern nach San Francisco, vorerst aber das illegale Geschäftsmodell noch ein wenig nützen. Damit kommt ein Suspense ins Spiel, der dann auch komisch – bei einer „noblen“ Teegesellschaft – aufgeht.

Motivische Verwandtschaften

Wenn man von „First Cow“ auf die bisherige Karriere von Reichardt zurückblickt, wird man schon in dem ersten Film (nach dem frühen „River of Grass“, 1994, der eine Sonderstellung einnimmt) deutliche Parallelen oder motivische Verwandtschaften erkennen: „Old Joy“ (2006, mit dem Musiker Will Oldham in einer der Hauptrollen) erzählte von zwei Männern, die aus Portland zu Heilquellen in den Wäldern von Oregon wandern. Es geschieht eigentlich gar nicht viel, aus den Gesprächen und aus bedeutsam platzierten Radiosendungen während des Autofahrens wird aber eine Art Mikrogeschichte der amerikanischen Linken erkennbar. Zu deren Hoffnungen zählten eben häufig auch Verbindungen mit dem vorkolonialen, nicht ökonomisierten Amerika, für das die Heilquellen ein deutliches Symbol sind. Oregon ist in diesem Zusammenhang auch deswegen besonders, weil der Staat immer zu weit im Westen lag, um in der Western-Mythologie des Landes eine große Rolle zu spielen. Der 33. Bundesstaat ist bis heute zu einem gewissen Grad unerschlossenes Territorium. Die ideologische Aufladung bestimmter Vorstellungen von Freiheit, die sich mit den Naturreserven in Oregon verbinden, zeigte sich 2016, als rechtsextreme Milizen die Verwaltung des Malheur National Wildlife Refuge besetzten. Sie reklamierten das Naturschutzgebiet für ihre Ambitionen auf eine „Befreiung“ von der Regierung in Washington.

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