#Kohlgeruch und Brötchengeschmack
„Kohlgeruch und Brötchengeschmack“
Um kurz vor sechs wird es im Frankfurter Kunstverein hektisch. Anne Hashagen sitzt auf der Bühne, bereit, mit dem Gespräch über das Buch zu beginnen, das sie zusammen mit dem Philosophen Riccardo Manzotti geschrieben hat. Aber das Publikum ist es noch nicht. Gast um Gast kommt kurz auf knapp durch die Gassen der neuen Altstadt herangestürmt, zeigt an der Tür schnell den 3-G-Nachweis vor, Open-Books-Mitarbeiter rücken zusätzliche Stühle mit dem gebührenden Abstand zurecht. Eine Frau futtert noch schnell ihr Brötchen auf, auch ihre nichts essende Nachbarin hat die Maske heruntergezogen, genervt davon, dass sie hier trotzdem getragen werden muss, weil der Raum doch ziemlich klein ist.
Zur selben Zeit unterhält sich Eva Menasse mit ihrem Moderator Ulrich Sonnenschein in der Evangelischen Akademie darüber, was für ein heikler Moment die Suche nach dem Einstieg in einen neuen Roman ist. Dann soll Menasse, die später auch noch zu „Literatur im Römer“ hinüberwechselt, etwas lesen. Sie muss erst einmal blättern: „Ich habe mir im Zug ein paar Stellen markiert.“ Eines, sagt sie, habe sie an den Rezensionen zu „Dunkelblum“ gestört – dass falsch Bezug genommen worden sei auf den Ort Rechnitz im Burgenland, an dem sich ihr Roman orientiert. Ständig sei behauptet worden, das Massaker an Zwangsarbeitern im März 1945 sei nicht gut erforscht. Oder die Journalisten hätten sich nur an einem boulevardesken Bericht orientiert. „Man soll genau sein, wenn man über solche Dinge schreibt“, sagt Menasse und bezieht das auch auf ihren Roman.
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Im Haus am Dom bei Herfried Münkler geht es ruhiger zu. Die Zuschauer sitzen hintereinander wie Hühner auf der Stange. „Marx, Wagner, Nietzsche – Welt im Umbruch“, das ist keine leichte Kost, und obgleich Moderator Jens Bisky findet, das Werk des Politologen sei eines für jedermann, sagt eine ältere Dame am Schluss zu ihrem Begleiter: „Mir ist es schwergefallen, dem zu folgen. Ich habe zu wenig Ahnung.“ Nichtsdestotrotz bildet sich am Signiertisch, mit einer Plexiglasscheibe bewehrt, rasch eine Schlange, und Münkler schreibt geduldig all die erbetenen Widmungen in die neu erworbenen Bücher, was für beide Seiten nicht leicht ist, weil Maske und Plexiglas den Ton schlucken.
Um acht ist es in der Evangelischen Akademie Zeit für die „große Kanada-Nacht bei Open Books“, wie Moderatorin Gesa Ufer sagt. Draußen auf der Fassade laufen Kurzfilme kanadischer Künstler, innen sind Waubgeshig Rice, Naomi Fontaine und Mary Lawson aus Northern Ontario, Québec und England zugeschaltet. Kim Thúy ist als einzige mit der kanadischen Autorendelegation nach Frankfurt gekommen, die coronabedingt klein gehalten werden musste. Sie könne nicht lange bleiben, sagt sie, denn um 20 Uhr beginne in der Festhalle die „Canada Night“ – die ist noch größer. „Ich werde für euch mittrinken“, sagt Thúy und winkt ihren Kollegen durch die Kamera zu. Alles lacht. Durch die Pandemie sind die vier Schriftsteller unterschiedlich gut gekommen. Thúy erzählt, wie produktiv sie gewesen sei, was auch auf Rice zutrifft, der zudem zum zweiten Mal Vater wurde. Er begrüßt das Publikum auf Deutsch – mit 17 hat er bei einem Schüleraustausch mitgemacht. Auch Fontaine hat ein Kind bekommen und sich gefühlt, als hätte die Zeit stillgestanden. Lawson dagegen saß in Großbritannien fest und litt darunter, dass sie ihre Familie in Kanada lange Zeit nicht besuchen konnte.
Am lebhaftesten geht es im Altarraum der Katharinenkirche an der Hauptwache bei Heinz Rudolf Kunze zu, der die Leute mit Geschichten aus seinem Musikerleben zu fast hysterischem Lachen bringt. Genial der Moment, in dem er die Reaktion seines Vaters auf ein Konzert von The Who beschreibt. Er habe das größte Lob ausgesprochen, das man von einem ehemaligen SS-Mann erwarten könne: „Junge, das klang wie damals, als wir angegriffen haben.“ Oder die Großmutter, die nur zwei Gewürze kannte, Salz und Pfeffer, und am liebsten Kohl kochte, was der Schüler Kunze Tag für Tag im Treppenhaus roch: „Wie ein einziger großer Furz – sorry, Oma.“ Es sei dennoch schwer gewesen, über das eigene Leben zu schreiben, eigentlich unerträglich, sagt Kunze, als er für eine Minute wenigstens einmal halb ernst ist: „Ich bin froh, dass es vorbei ist.“
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