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#Neutrinos sind leichter als 0,8 Elektronenvolt

Neutrinos sind leichter als 0,8 Elektronenvolt

Neutrinos sind leichte Elementarteilchen, die für die Teilchenphysik und Kosmologie eine entscheidende Rolle spielen. Doch ihre genaue Masse ist bisher unbekannt. Jetzt ist es Physikern am KATRIN -Experiment in Karlsruhe erstmals gelungen, die Neutrinomasse auf maximal 0,8 Elektronenvolt einzugrenzen – weniger als ein Milliardstel der Masse eines Protons. Erstmals sind Messungen damit in den für die Teilchenphysik bedeutsamen Massenbereich von unter einem Elektronenvolt vorgedrungen. Zudem wurde der neue Wert unabhängig von einem kosmologischen Modell ermittelt und ermöglicht es damit auch, Hypothesen zu exotischer, nicht dem Standardmodell folgender Physik zu überprüfen.

Neutrinos gehören zu den häufigsten und gleichzeitig rätselhaftesten Teilchen in unserem Universum. Obwohl in jeder Sekunde Milliarden von ihnen durch unseren Körper strömen, sind sie nicht spürbar und nur sehr schwer messbar. Denn die Elementarteilchen wechselwirken kaum mit Materie, haben so gut wie keine Masse und ihre drei Sorten können sich buchstäblich im Fluge ineinander umwandeln. Bekannt ist, dass diese „Geisterteilchen“ bei radioaktiven Zerfällen, in der Sonne und auch bei energiereichen kosmischen Ereignissen produziert werden. Gleichzeitig könnten sie eine wichtige Rolle in vielen noch ungeklärten kosmischen Phänomenen spielen, von möglicher „neuer Physik“ bis hin zur Natur der Dunklen Materie. Um den möglichen Beitrag der Neutrinos dazu zu verstehen, ist jedoch ein Parameter entscheidend: ihre Masse. Nachdem Neutrinos lange als vollkommen masselos galten, zeigen Experimente zur Neutrino-Oszillation, dass diese Elementartteilchen doch eine, wenn auch winzige Masse besitzen müssen. Bisherige Messungen engten diesen Wert auf den Bereich zwischen 2 und 0,02 Elektronenvolt ein.

KATRIN-Experiment als Neutrino-„Waage“

Auf der Suche nach einem genaueren Wert für die Neutrino-Masse wurde 2017 das internationale KATRIN-Experiment am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) ins Leben gerufen. Basis dieses Experiments bildet der Beta-Zerfall von radioaktivem Tritiumgas. Bei diesem Zerfall werden ein Elektron und ein Antineutrino frei. Dieses Antineutrino ist nicht direkt nachweisbar und auch seine Masse lässt sich nicht bestimmen – wohl aber die des Elektrons. Wenn nun das Neutrino eine Masse besitzt, müsste die Energie und damit Masse des Elektrons um genau diesen Anteil geringer sein als die beim Zerfall des Tritiumatoms insgesamt freigesetzte Energie. Das 70 Meter lange KATRIN-Experiment nutzt genau diesen Effekt aus, um die Neutrinomasse einzugrenzen. Dafür wird Tritiumgas in eine lange Röhre gepumpt, in der es zerfällt. Die dabei freigesetzten Elektronen werden mithilfe supraleitender Magnete in ein Spektrometer geleitet. Dieses ist so einstellbar, dass es nur Elektronen bis zu einer bestimmten Energie durchlässt – es wirkt wie ein Filter. Hinter dem Spektrometer liegt ein Detektor, der die Energie dieser Elektronen mit hoher Präzision messen kann.

Schon in der ersten Laufzeit des KATRIN-Experiments im Jahr 2019 gelang es den Physikern der KATRIN-Kollaboration auf diese Weise, die Masse des Antineutrinos und damit auch des Neutrinos auf maximal ein Elektronenvolt zu begrenzen. Seither wurden die Anlagen weiter optimiert, sodass in der zweiten Laufzeit Messungen mit noch höherer Präzision möglich waren. „KATRIN als Experiment mit höchsten technologischen Anforderungen läuft nun wie ein perfektes Uhrwerk“, berichtet Projektleiter Guido Drexlin vom KIT. Dabei seien die Reduktion der Störsignale und die Erhöhung der Signalrate entscheidend gewesen. Auch bei der Auswertung der enormen Datenmengen, die am Detektor anfallen, wurden Fortschritte erzielt. „Nur durch diese aufwendige und akribische Arbeit konnten wir eine systematische Beeinflussung unseres Resultats durch andere Effekte wirklich ausschließen“, erklären Magnus Schlösser vom KIT und Susanne Mertens vom Max-Planck-Institut für Physik.

Neue Obergrenze für die Neutrinomasse

Jetzt liegen die Ergebnisse der neuen Messungen vor. Dem KATRIN-Team ist es gelungen, die Masse des Elektron-Antineutrinos auf noch maximal 0,8 Elektronenvolt zu begrenzen. Dieses Neutrino hat demnach weniger als ein Milliardstel der Masse eines Protons. Erstmals stößt so ein direktes Neutrinomassenexperiment in den kosmologisch und teilchenphysikalisch wichtigen Massenbereich von unter einem Elektronenvolt vor, in dem die fundamentale Massenskala von Neutrinos vermutet wird. „Damit haben wir nun eine von kosmologischen Modellen unabhängige Information über die Neutrinomasse, anhand derer nun auch Nicht-Standardmodelle der Kosmologie überprüft werden können“, schreiben die Physiker. Ihnen ist es zudem gelungen, die statistischen und systematischen Unsicherheiten um den Faktor drei beziehungsweise zwei zu verringern.

„Die Teilchenphysik-Gemeinschaft ist begeistert, dass die 1-eV-Barriere von KATRIN durchbrochen wurde“, kommentiert Neutrinoexperte John Wilkerson von University of North Carolina. Ziel ist es nun, in weiteren Messungen die Präzision von KATRIN noch weiter zu erhöhen. „Die weiteren Messungen zur Neutrinomasse werden noch bis Ende 2024 andauern. Um das volle Potenzial dieses einzigartigen Experiments auszuschöpfen, werden wir nicht nur die Statistik der Signalereignisse kontinuierlich erhöhen, wir entwickeln und installieren fortwährend Verbesserungen zur weiteren Absenkung der Störereignisrate“, erklären die Wissenschaftler. Ab 2025 soll KATRIN um das neue Detektorsystem TRISTAN ergänzt werden, mit dem Physiker gezielt nach „sterilen“ Neutrinos suchen – einer hypothetischen vierten Neutrinosorte. Sie gilt – sollte sie existieren – als einer der Kandidaten für das Teilchen der Dunklen Materie.

Quelle: KATRIN Collaboration, Nature Physics, doi: 10.1038/s41567-021-01463-1

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