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#Toxische Kungelei in Süditalien

Toxische Kungelei in Süditalien

Das Gerichtsurteil von Tarent wird weithin als historisch beschrieben. Am Montagnachmittag verurteilten zwei Richterinnen und sechs Schöffen die früheren Eigentümer des Stahlwerks Ilva in der apulischen Hafenstadt Tarent zu langen Haftstrafen: Fabio Riva soll wegen schuldhaft verursachter Umweltkatastrophen 22 Jahre ins Gefängnis, sein jüngerer Bruder Nicola 20 Jahre. Einstige Manager und leitende Angestellte des größten Stahlwerks Europas sollen zwölf bis 21 Jahre in Haft.

Matthias Rüb

Politischer Korrespondent für Italien, den Vatikan, Albanien und Malta mit Sitz in Rom.

Insgesamt waren 47 Personen angeklagt, gut die Hälfte erhielt Gefängnisstrafen. Zu ihnen gehört auch der frühere Regionalpräsident von Apulien, Nichi Vendola: Er soll für dreieinhalb Jahre ins Gefängnis. Insgesamt wurden 270 Jahre Freiheitsentzug verhängt. Zudem verfügte das Gericht die Stilllegung und Beschlagnahmung des gesamten Werkkomplexes sowie von rund 2,1 Milliarden Euro, die der einstige Werkseigentümer Riva Group erwirtschaftet haben soll.

54 Prozent mehr Tumore bei Kindern?

Zugleich bleiben die Hochöfen in dem riesigen Werk in Betrieb, und keiner der Verurteilten muss vorerst tatsächlich ins Gefängnis. Denn das Urteil aus Tarent dürfte in dieser Form kaum je rechtskräftig werden. Zum einen wird das Strafmaß in allen Kommentaren als übertrieben hart bezeichnet. Zum anderen mildern die professionellen Gerichte der zweiten und dritten Instanz die harschen Urteile der Schöffengerichte in erster Instanz sehr häufig ab.

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Das jetzt abgeschlossene Verfahren war nach Untersuchungen der Staatsanwaltschaft von 2012 in Gang gekommen, der Prozess begann 2016. Nach Überzeugung der Strafverfolger besteht ein Zusammenhang zwischen den toxischen Emissionen des Werks und der weit überdurchschnittlichen Zahl schwerer Atemwegs- und Krebserkrankungen sowie der Sterbefälle in der Stadt mit rund 200.000 Einwohnern. Umweltaktivisten wollen ermittelt haben, dass es in Tarent 54 Prozent mehr Tumore bei Kindern gibt, 45 Prozent mehr Erkrankungen von Schwangeren und eine um 21 Prozent höhere Kindersterblichkeit als sonst in dieser Region.

Unter den jetzt Verurteilten sticht einer besonders hervor: Der heute 62 Jahre alte frühere Regionalpräsident Nichi Vendola, Gründer der ökosozialistischen Partei „Sinistra Ecologia Libertà“, ist in ganz Italien als Umweltaktivist und Gewerkschaftsfreund bekannt. Als Vendola von 2005 bis 2015 als Regionalpräsident amtierte, wurden dem 1965 eröffneten Stahlwerk erstmals strenge Umweltauflagen auferlegt. Dass ausgerechnet er, der Vorkämpfer gegen die gefürchtete Dreckschleuder Ilva, als Umweltverbrecher ins Gefängnis soll, weil er mit Gewerkschaften und Werksleitung für den Erhalt von Jobs gekungelt und damit Umweltverbrechen Vorschub geleistet habe, kommentierte Vendola in der Zeitung Corriere della Sera wie folgt: „Die Justiz ist krank. Ihre Untersuchungsmethoden verkommen zum Spektakel. Dieser Justizzirkus tötet das Gerechtigkeitsgefühl. Dies ist ein Problem für die Qualität unserer Demokratie.“

Alten politischen Konsens aufgekündigt

Der Umweltschutzverband „Legabiente“ nahm das Urteil dagegen erfreut auf: Nun sei gerichtlich bestätigt, dass das Stahlwerk in Tarent eine fortgesetzte Umwelt- und Gesundheitskatastrophe verursacht habe, und wer persönlich dafür die Verantwortung trage. Angelo Bonelli, Vorsitzender der italienischen Grünen, die in jüngsten Umfragen auf rund zwei Prozent Zustimmung kommen, äußerte die Hoffnung, dass das Urteil ein „Signal für die italienischen Institutionen“ sein möge. Statt mit immer neuen Dekreten und Milliarden aus Rom das marode Stahlwerk „auf Kosten der Verfassungsrechte der örtlichen Bevölkerung“ zu retten, sei es an der Zeit, in Apulien einen „Strukturwandel wie im Ruhrgebiet oder in Pittsburgh in den Vereinigten Staaten“ anzugehen. Anstelle von Hochöfen wie ehedem gebe es dort heute „Technologie- und Wissenschaftscluster mit hoher Beschäftigungsquote“.

Eine baldige Lösung des jahrzehntelangen Streits um die Stahlproduktion am Golf von Tarent ist nicht in Sicht. Sie kann kaum auf juristischem Wege, sondern nur über einen politischen Konsens erreicht werden. In den sechziger Jahren wurden mit umfassender staatlicher Hilfe gewaltige Anlagen der Petro- und Stahlindustrie in der Region angesiedelt. Sie brachten Arbeit und Wohlstand, aber auch Emissionen und Krankheiten. Diesen Widerspruch vermochten keine Regierung in Rom und keine Verwaltung in der Region aufzulösen. Nun könnte abermals der italienische Staat das Steuer bei Ilva übernehmen. In Tarent soll dann immerhin „grüner Stahl“ produziert werden, unter umweltfreundlichen Bedingungen.

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