#Ostseefische setzen sich selbst auf Diät
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Um ihren erhöhten Nahrungsbedarf bei steigenden Wassertemperaturen zu decken, neigen manche Fische offenbar zu einer für sie ungünstigen Strategie, geht aus einer Studie hervor: Demnach schnappen sich Flunder und Co. in der Ostsee statt ihrer üblichen „fetten“ Beute zunehmend die nächstbesten Futtertiere – kleine und häufigere Organismen. Doch selbst viele dieser Winzlinge liefern unterm Strich weniger Energie als wenige große Beutetiere, wodurch es zu einer Mangelernährung kommen kann. Die Klimawandel-bedingte Veränderung des Jagdverhaltens könnte somit eine weitere Bedrohung von Fischbeständen darstellen, sagen die Forschenden.
Wie wirken sich die steigenden Wassertemperaturen im Zuge des Klimawandels auf die aquatische Lebenswelt aus? Die möglicherweise komplexen Folgen stehen momentan intensiv im Fokus der Forschung. Was die Fische betrifft, nimmt man an, dass ihr Stoffwechsel durch erhöhte Temperaturen angeregt wird, wodurch sie mehr Energie verbrauchen. Dies muss wiederum durch mehr Nahrungszufuhr kompensiert werden. Da es in wärmeren Gewässern zu einer vermehrten Produktion von Nahrung kommen kann, könnte dies den Fischen auch gelingen, ohne dass die Bestände beeinträchtigt werden.
Wie passen sich Fische an?
Inwieweit das aber tatsächlich zutrifft, hat nun das Forschungsteam um Benoit Gauzens vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig am Beispiel von Ostseefischen genauer untersucht. Die Wissenschaftler werteten dazu Archivdaten von sechs wirtschaftlich wichtigen Fischarten aus, die in verschiedenen Bereichen der Kieler Bucht über einen Zeitraum von zehn Jahren gesammelt wurden. Die Informationen umfassten dabei Analyseergebnisse des Mageninhalts von Flunder, Dorsch und Co. sowie Daten über die vor Ort verfügbaren Nahrungstiere und die jeweiligen Wassertemperaturen.
Wie das Team berichtet, ging aus ihren Auswertungen hervor: Trotz ihrer verschiedenen Ernährungsstrategien war ein übergeordneter Trend bei den untersuchten Fischarten zu verzeichnen. Obwohl das Angebot gleich geblieben ist, haben sie ihre Beute-Präferenz bei erhöhten Temperaturen von eher größeren, aber seltener vorkommende Wassertieren auf leichter verfügbares Futter verlagert: Sie schnappten sich häufiger vorkommende Organismen, wie etwa kleinere Krebstiere, Schlangensterne, Würmer und Weichtiere. Das Problem bei dieser Veränderung des Jagdverhaltens ist allerdings, dass unterm Strich weniger Nährwert zusammenkommt, geht aus der Studie hervor.
Problematischer Trend zu weniger „fetter“ Beute
Das bedeutet: Durch das veränderte Jagdverhalten können die Fische ihren Energiebedarf langfristig schlechter decken als durch den Verzehr größerer und kalorienreicher Beute. „Man vermutet eigentlich, dass Arten ihre Nahrungssuche so anpassen, dass sie möglichst viel Energie aufnehmen“, sagt Gauzens. „Aber unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Fische – und möglicherweise auch andere Tiere – in unerwarteter und ineffizienter Weise auf den Klimawandel reagieren könnten“, so der Wissenschaftler. Letztlich kann die Diskrepanz zwischen dem Energiebedarf der Fische und ihrer tatsächlichen Nahrungsaufnahme dann zu einer kritischen Unterernährung führen, geht aus den Berechnungen des Teams hervor.
Auf der Grundlage ihrer Ergebnisse modellierten die Forschenden außerdem, wie sich die problematischen Veränderungen des Nahrungserwerbs bestimmter Arten wiederum auf andere und das gesamte Ökosystem auswirken könnten. Die Ergebnisse deuten dabei darauf hin, dass Änderungen des Jagdverhaltens bei steigenden Temperaturen zu weitreichenden Artenverlusten und bedrohlichen Kaskadeneffekten im Nahrungsnetz führen können.
„Fischarten in der Ostsee und anderswo sind einer Vielzahl menschlicher Einflüsse ausgesetzt, zum Beispiel Überfischung oder Verschmutzung“, sagt Co-Autor Gregor Kalinkat vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin. „Die Auswirkung eines ineffizienteren Jagdverhaltens bei Erwärmung könnte ein weiterer, bisher übersehener Faktor sein, der bewirkt, dass sich Fischbestände nicht erholen können, selbst wenn Fangquoten deutlich reduziert werden“, resümiert der Wissenschaftler. Um die Bedeutung dieses Aspekts genauer zu erfassen, plant das Team nun auch weiterführende Untersuchungen.
Quelle: Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig, Fachartikel: Nature Climate Change, doi: 10.1038/s41558-024-01946-y
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