#Ukraine-Krieg: Drohnen im Ukraine-Krieg: Wie ein tödliches Videospiel
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Drohnen sind im russischen Angriffskrieg allgegenwärtig. Wer die ukrainischen Drohnenpiloten begleitet, trifft Menschen, die Putins Soldaten schwer zusetzen – und die Kriegsführung der Zukunft prägen.
Das Endresultat seiner Arbeit ist eine einsatzbereite Kamikaze-Drohne, Marke Eigenbau. Die Drohne selbst war von den Entwicklern als Fluggerät für sportliche Wettbewerbe gedacht. Sie fliegt über 100 Kilometer pro Stunde schnell. Ein Hobby-Spielzeug für Turniere in friedlichen Zeiten. Jetzt ist sie der fliegende Tod. In 1,5 Kilometern Entfernung ziehen sich die Gräben und Stellungen der russischen Armee an der Bachmut-Front entlang. Vor Wolodymyr liegen auch ein Erdbunker und einige Meter Schützengraben, die vermutlich noch russische Soldaten in den Boden gehackt hatten, bevor sie zurückgedrängt wurden.

Foto: Till Mayer
„Ich denke, das hier war eine russische Stellung. Genau weiß ich es nicht, wir haben den Ort zugewiesen bekommen. Deswegen vorsichtig sein. Alles drumherum ist vermutlich vermint“, sagt Wolodymyr. Der Posten liegt in einem kleinen Waldstück. Unter Bäumen und von einem Tarnnetz bedeckt steht ein Geländewagen in mattem Grün. Die Satellitenschüssel ist aufgeklappt. Alles ist bereit für den Einsatzbefehl.
Drohnen sind im Krieg zu einer unverzichtbaren Waffe geworden – sowohl aufseiten der ukrainischen als auch der russischen Streitkräfte. Sowohl selbst gebaut als auch technisch hochprofessionell. Erst vergangenen Freitag meldete die Ukraine die Sichtung von „knapp 40“ russischen Kampfdrohnen. „Leider gab es auch Einschläge. Nach vorläufigen Angaben ohne Opfer“, schrieb der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in sozialen Netzwerken. Ihm zufolge betraf das drei Gebiete: Charkiw im Osten und Lwiw sowie Iwano-Frankiwsk im Westen. Nur etwa die Hälfte der Drohnen sei abgefangen worden. Die ukrainische Luftwaffe hatte zuvor über 24 Abschüsse informiert.
94 Prozent der russischen Drohnen wurden abgeschossen
Selenskyj versprach, die Flugabwehr weiter zu stärken. Russland wolle mit dem näher rückenden Winter mehr Schaden anrichten, sagte er. Am Vortag hatte Selenskyjs Büroleiter Andrij Jermak mitgeteilt, dass Russland allein im Oktober 243 Drohnen des iranischen Typs Shahed in der Ukraine eingesetzt habe. Die Abschussquote soll bei knapp 94 Prozent gelegen haben. Kiew dringt bei westlichen Verbündeten immer wieder auf eine Stärkung der Flugabwehr gegen russische Drohnen und Raketen.
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Auf der ukrainischen Seite der Front wartet wiederum Wolodymyr auf den Abschussbefehl von seinem Offizier. Der kommt keine Viertelstunde später. Er nimmt die Drohne und geht zum Startpunkt auf einer nahen Wiese. „Die Zeit immer kurz halten, wenn man keine Bäume zur Deckung hat“, sagt der 47-Jährige und geht los. Im Wiesengrün steht kniehoch ein schwarzes Metallgestell. Wolodymyr legt das Fluggerät auf zwei Eisenstangen. Dann kommt er zurück. Seine Schritte auf dem unebenen Boden wirken steif. Der Soldat ist Prothesenträger. Die Explosion einer Landmine riss am 18. Oktober 2022 einen Teil seines Beins ab.
„Die Prothese habe ich in Deutschland bekommen. Sie ist absolut top. Deutsche Unterstützer wurden zu guten Freunden. Ich bin ihnen sehr dankbar“, sagt er, als er die Stufen zum Bunker herabsteigt. Wolodymyr schiebt die dunkle Decke beiseite, die im Eingang hängt. Dahinter sitzen in der Dunkelheit zwei Drohnenspezialisten. Im Eck wirft eine Funzel flackerndes Licht auf die Erdwände. „Die Drohne ist bereit“, ruft der 47-Jährige den Männern zu. Beide ziehen ihre Virtual-Reality-Brillen über. Der linke, quasi ein Art Commander, ist im Zoom-Chat mit anderen Einheiten, der rechte wird gleich die Drohne steuern. Das Ziel für einen Angriff der Kamikaze-Drohne steht fest. Dafür haben Aufklärungsdrohnen gesorgt, die Daten kommen ebenfalls im Chat.

Foto: Till Mayer
„Beim Start müssen alle im Bunker sein. Die Kamikaze-Drohne ist Eigenbau, wenn etwas schiefgeht: Bummm“, Wolodymyr lacht trocken. Vor den beiden Spezialisten steht ein offener Metallkoffer. Das Endstück zur Satellitenverbindung ist darin zu finden, ein blau leuchtender Monitor verbreitet sein Licht. Auf einem Tablet leuchtet jetzt Kartenmaterial. Der Drohnenpilot navigiert mit einer Steuerungskonsole die Drohne zum Ziel: eine Stellung der russischen Armee. Der Start klappt. Die Drohnenexperten wirken wie Gamer in dem Blaulicht, das der Bildschirm auf sie wirft. Es ist ein unwirkliches Bild. Von draußen ist der Klang der nahen Artillerie zu hören. Das Krachen der Schüsse aus benachbarten ukrainischen Stellungen. Der dumpfe Ton der russischen Einschläge im Umfeld.
Der Drohnenflug hat das Ziel, Tod und Zerstörung zu bringen. „Es ist unsere Arbeit, dem Feind zu schaden. Mit unseren Drohnen greifen wir Versorgungsfahrzeuge für Munition und Kraftstoffe an, Panzer oder wie jetzt direkt die Stellungen. Sind wir erfolgreich, habe ich ein gutes Gefühl. Treffen wir unser Ziel jetzt nicht, sterben Kameraden, die vorrücken“, sagt Wolodymyr. „Ein Ziel zu finden, das braucht oft viel Aufklärung. Es ist geduldige Vorarbeit, mitunter mehrere Teams helfen dabei zusammen“, fügt der 47-Jährige hinzu. Er erzählt, wie er in Bachmut eine Stellung russischer Drohnenpiloten zerstörte. „Die Stellung befand sich im oberen Stockwerk der Ruine eines großen Wohnkomplexes. Die feindlichen Drohnen hatten uns herbe Verluste zugefügt. Meine Kameraden hatten mit ihren Aufklärungsdrohnen den Ausgangspunkt gefunden. Das Fenster, hinter dem sich die Drohnenpiloten verbargen. Dann war ich an der Reihe.“ Und dann war da noch eine mobile Tor-Flugabwehreinheit, die er mit seiner Drohne traf. Kostenpunkt: 2,5 Millionen Euro.
Kamikaze-Drohnen kosten kaum mehr als 600 Euro – und richten Millionenschäden an
Oft steuert Wolodymyr selbst eine Drohne, manchmal ist es seine Aufgabe, sie vorzubereiten. Heute navigiert ein junger bärtiger Mann mit Kampfnamen Valencia das Fluggerät. Den Mund leicht geöffnet, lehnt er sich mit dem Rücken an die Wand hinter ihm. In seinen Gesichtszügen steht völlige Konzentration. Nach wenigen Minuten legt er den Controller zu Seite, zieht die Brille herunter. „Erledigt. Jetzt eine Zigarette“, sagt er kurz.
Als das Team vor dem Erdbunker steht, ist in der Ferne ein Hubschrauber zu hören. Ein Maschinengewehr rattert. Zur Sicherheit geht es in den Bunker zurück. Valencia reicht eine Brille weiter. „Das zeigt die letzte Minute vom Flug der Drohne“, sagt er. Man sieht, wie sich die Drohne einem Schützengraben nähert. Die Spitze der Granate ist immer im Bild. Der Graben ist menschenleer. Die Drohne verharrt kurz, richtet sich aus. Dann fliegt sie auf den Eingang eines Erdbunkers zu, in den sich vermutlich russische Soldaten zurückgezogen haben. Die Drohne fliegt zielgenau in den Eingang. Das Bild ist kurz schwarz, die Explosion ein Flimmern und Rauschen. Ende der Übertragung.
Der getroffene Erdbunker der russischen Armee sah aus wie der, in dem Wolodymyr und seine Kameraden Schutz suchen. „Eine russische Drohne kann auch uns jederzeit treffen. Jetzt und hier. Sie schicken immer mehr und mehr.“ Es ist ein tödlicher Wettlauf der Drohnenkämpfer an der Front nahe Bachmut. Drohnen sind effektiv. In der Aufklärung unverzichtbar. Einfache Kamikaze-Modelle kosten kaum mehr als 600 Euro. Sie töten und können Kriegsgerät zerstören, das Hunderttausende und mehr Euro kostet.
Beide Seiten versuchen, mit Störsendern die Flugobjekte des Feindes zum Absturz zu bringen. Über den Köpfen der Soldaten in den Gräben und Stellungen des Donbass findet längst eine Evolution des Drohnenkriegs statt. Wie bei den brachialen Artilleriegefechten stehen als Ziel Tod und Zerstörung. „Diese digitale Zeit ist verrückt. Selbst als ich mein Bein verloren habe, ein Kamerad hat es mit seiner Bodycam gefilmt“, sagt der Soldat mit Prothese. Er hat sich den Clip auf das Smartphone geladen. Da sieht man ihn, wie er in einem Waldstück nahe einem Weg im Unterholz liegt. „Zum Glück habe ich das Bewusstsein behalten. Keiner konnte zu mir. Es lagen ja vermutlich weitere Minen im Umkreis“, berichtet er. So sieht man im Clip, wie ihm die Kameraden ein Seil zuwerfen. Er klammert sich daran fest, die Kämpfer ziehen ihn auf den sicheren Weg. Sie binden ihm das Bein ab. Die Kamera fängt betroffene Gesichter ein. „Ich habe wegen des Schocks gar keine Schmerzen gehabt. Und später … Ich kann es gar nicht mehr sagen.“
Dann geht es für das Drohnen-Team zurück ins Hinterland. Der Geländewagen rattert über Feldwege. Nicht weit entfernt knallen Abwehrfeuer. Irgendwo muss eine russische Drohne in der Luft sein. Dann kommen verlassene und zerstörte Dörfer. Ein Schützenpanzer mit einem halben Dutzend Soldaten verschwindet in einer Staubwolke zwischen Ruinen.

Wolodymyr hat im Krieg einen Teil seines Beins verloren. Die Prothese kommt aus Deutschland.
Foto: Till Mayer
In der Kleinstadt Kostjantyniwka angekommen, geht es zu der kleinen Zweizimmerwohnung, die Wolodymyr mit zwei weiteren Soldaten bewohnt. Es waren lange und körperlich anstrengende Stunden für ihn. Trotz seines durchtrainierten Körpers. Mit seinem Beinstumpf gleitet er in seine Ersatzprothese. Es ist Zeit, sich eine kleine Pause zu gönnen. Das Smartphone brummt. Seine 15-jährige Tochter schickt eine Nachricht. Sie macht sich jeden Tag Sorgen um den Vater im Einsatz. Die beiden führen ein kurzes Video-Gespräch. Später wird er in einer nahen Wohnung noch Drohnen vorbereiten. Am frühen nächsten Morgen geht es wieder in den Einsatz. Vielleicht wird diesmal er die Drohne steuern.
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