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#Umsturz in Madrid

Umsturz in Madrid

„Mehr Arbeit und weniger Korruption“, „Wir sind nicht gegen das System, das System ist gegen uns“, steht auf einigen Plakaten, die die ganze Wand eines Saales füllen. Sie stammen von der Madrider Puerta del Sol, wo sich am 15. Mai 2011 die große Protestbewegung formierte. Auf dem Platz im Zentrum der Stadt schlugen damals die „Empörten“ ihre Zelte auf, nachdem die Immobilienblase geplatzt war und das Land an den wirtschaftlichen Abgrund gebracht hatte. „15M“, die spanische Abkürzung für diesen Tag, nimmt einen prominenten Platz ein im runderneuerten Reina-Sofía-Museum. Dort ist es in der Dauerausstellung zu einem Umsturz gekommen. Das 1990 als Nationalmuseum er­öffnete Gebäude hat sich nur äußerlich nicht verändert. In seinem Inneren ist nichts geblieben, wo und wie es war. Einzig Picassos „Guernica“ hängt noch an seinem alten Platz im zweiten Stockwerk des einstigen Krankenhauses.

Die Krisen der Neuzeit bilden die neuen Achsen in der permanenten Kollektion, an der es an Bezügen zur Ge­genwart nicht mangelt, wie zum Coronavirus, das nicht die erste globale Pandemie heraufbeschwor: Zwei Säle zeigen, wie Künstler auf HIV/Aids reagierten, auf Fake News und sich in den Achtzigerjahren besonders mit der schwulen Minderheit solidarisierten, die noch mehr diskriminiert wurde. Es sind Stimmen aus Spanien, aber auch aus Kuba. Gerade dieser Blick aus Lateinamerika auf globale Ereignisse bereichert die neue Ausstellung sehr. Ihr Titel „Kommunizierende Gefäße“ drückt diesen Anspruch aus. Das Mu­seum bricht aus alten Bahnen und Disziplinen aus. „Vasos Comunicantes. Colección 1881 – 2021“ sei nicht weniger als eine „vollständige Neuordnung“, sagt der Direktor Manuel Borja-Villel. Architektur, Stadtplanung und Theater gehören jetzt auch dazu. Das meiste ist neu, denn die vorherige Dauerausstellung endete in den Achtzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts.

Ein mediterranes Manhattan

Rund siebzig Prozent der gut 2000 Werke waren noch nie ausgestellt oder wurden erst vor kurzer Zeit erworben. Büros, Depots und Werkstätten verwandelten sich in neue Schauräume. Die Schließung während des Corona-Lockdowns erleichterte die Umgestaltung. Jetzt erstreckt sich die Sammlung auf 15.000 Quadratmetern über mehrere Etagen der beiden Gebäude. „Das ist kein Pantheon berühmter Männer und Frauen, sondern eine Reiseroute, auf der Künstler überall auftreten können“, sagt Borja-Villel. Für die Besucher ist es eine Umstellung. Vor „Guernica“ drängen sich sie sich wie zuvor, der Strom vom Eingang in den Saal reißt selten ab. Die bekannten Werke von Salvador Dalí, Joan Miró und Antoni Tàpies sind natürlich geblieben, aber nicht mehr so leicht zu finden.

Radikaler Schnitt: das neu gestaltete Museum Reina Sofía


Radikaler Schnitt: das neu gestaltete Museum Reina Sofía
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Bild: Museo Reina Sofía

In einem einzigen Besuch lässt sich diese üppig bebilderte Tour de force durch die jüngste Geschichte aus spanisch-lateinamerikanischer Perspektive nicht bewältigen. Dieser Blickwinkel ist reizvoll, aber er verlangt den Besuchern auch eine Menge ab. Denn ohne den historischen Kontext erschließen sich viele Kunstwerke nicht von selbst. Das fängt schon mit der spanischen Vorliebe für Abkürzungen wie 15M an und geht mit den indigenen Aufständen weiter. „Die Krise, ein grundlegendes Element und nicht nur ein vorübergehendes, wie man uns glauben machen will“, sagt Borja-Villel über einen der wichtigsten Aspekte der Sammlung. Im Jahr 2011 wurden nicht nur in Spanien Plätze besetzt, damals begann auch der „Arabische Frühling“. Die Bandbreite der vorgestellten Ursachen und Folgen ist manchmal fast zu groß. Auf der Iberischen Halbinsel war es besonders der Bauboom, der aus dem kleinen Fischerort Benidorm ein mediterranes Manhattan machte und Valencia in einen Sumpf von Korruption versinken ließ – und um die Zwangsräumungen und die „Okupas“, die Hausbesetzer. Andere Werke setzen sich mit sexueller Identität, Umweltzerstörung und Migration auseinander. Zum Teil sind sie erst vor wenigen Jahren entstanden.

Post-Punk und brasilianische Pornokunst

Ein Schwerpunkt ist der lange Schatten der Vergangenheit, den Exil und Kolonialismus bis in die Gegenwart werfen. Pablo Picasso kehrte aus dem Nachbarland Frankreich nie zurück, viele andere spanische Künstler flohen in die ehemaligen Kolonien. Aber selbst im demokratischen Spanien hielt sich der koloniale Blick noch lange Zeit. Die Expo 1992 in Sevilla feierte unkritisch die Entdeckung Lateinamerikas – auch das ein Thema im Mu­seum. Inzwischen spielt der Austausch mit lateinamerikanischen Künstlern ei­ne immer wichtigere Rolle, die sich natürlich für die Umbrüche in ihren eigenen Ländern und ihre eigenen Kulturen interessieren. Für die Maya und audiovisuelle Experimente, soziales Engagement in Argentinien und den Widerstand während der Pinochet-Diktatur in Chile. Mehrere Säle zeigen, dass das Reina Sofía eines der bedeutendsten Museen für moderne iberoamerikanische Kunst ist.

Der Ausgangspunkt der Ausstellung liegt aber auf dem Alten Kontinent und setzt viel früher an: mit der Bohème in Madrid, Paris und Barcelona und der Rolle der Stadt am Ende des vorletzten Jahrhunderts. Kubismus gehört ebenso dazu wie Surrealismus, Volkskultur, Re­volutionen – und ihre Niederlagen, wie im spanischen Bürgerkrieg, dazu Post-Punk und brasilianische Pornokunst. Der Rundweg endet jedoch überraschend still mit einer Hommage an die andalusische Landschaftsmalerin und Bildhauerin Carmen Laffón. Sie ist vor wenigen Wochen im Alter von 87 Jahren gestorben. Mit ihren Bildern aus den weißen Salzfeldern von Sanlúcar de Barrameda prägte sie den spanischen Realismus. An den acht gemalten Basreliefs aus Gips mit dem Titel Salz hatte sie bis kurz vor ihrem Tod gearbeitet.

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