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#Und über allem wacht die Bahnhofsuhr

„Und über allem wacht die Bahnhofsuhr“

Die Fahrt durch Katalonien dauert fast zweieinhalb Stunden, immer wieder sieht man das Meer. Dann verliert man sich kurz in einem Tunnel, gleich da­nach kommt der Zug aus Barcelona unter einer hohen Halle aus Glas und Stahl zum Halten.

Portbou, aussteigen. Das Bahnhofsgebäude, erbaut im Jahr 1878, ist ähnlich monumental wie die Bahnhofshalle. Kein Wunder. Bis zur Eröffnung der Schnellstrecke zwischen Perpignan und Figueres im Jahr 2010 war Portbou der wichtigste Grenzbahnhof zwischen Spa­nien und Frankreich. Auch heute noch treffen hier und im benachbarten französischen Grenzbahnhof Cerbère zwei Eisenbahnwelten aufeinander. Zwei Spurweiten. Zwei Systeme, die nicht kompatibel sind: Un­sere europäische Normalspur und die iberische Breitspur. 1435 Millimeter versus 1668 Millimeter. In Portbou musste man früher immer umsteigen, umspuren, umladen und neu anfangen. Oder zurückfahren.

Seitdem die Fernzüge von Barcelona bis nach Paris auf der schnellen Linie rasen, auf der Normalspur wohlgemerkt, ist es in Portbou viel ruhiger ge­worden. Viele fahren dorthin zum Baden, wurde mir in Barcelona erzählt. Das Meer sei hier besonders schön.

Ein Inselbahnhof

Doch viele kommen auch wegen Walter Benjamin hierher. Sein Passagen-Werk, das manche mit auf die Reise nehmen, sein kulturphilosophisches Lebensprojekt, monumental wie die weiten Gleisanlagen im Personen- und Güterbahnhof von Portbou, blieb im Gegensatz zu diesem Bahnhof unvollendet. Benjamin nahm sich hier am 26. September 1940 auf der Flucht von den Nationalsozialisten das Leben. Es war eine Tat aus Verzweiflung. Er hatte Angst, dass man ihn aus Spanien an die Deutschen ausliefert, aus einem Breitspurland in das Land der Normalspur, in dem damals längst nichts mehr normal war.

„Bahnhöfe sind als Ausgangspunkt schön, aber sie sind auch sehr schön als Endpunkt,“ schreibt Benjamin in seinem Passagen-Werk über einen Spaziergang durch Paris. Das gilt auch für Grenzbahnhöfe, die nichts Weiteres als Durchgangszimmer sind. Passagen für Züge, Güter, Menschen. Der Weg zum Friedhof, auf dem Walter Benjamin ruht, geht durch eine Unterführung, denn der Bahnhof von Portbou ist ein sogenannter Inselbahnhof, der von beiden Seiten von Schienen, Weichen und Signalen umgeben ist. Und so auch von der Au­ßenwelt getrennt. Über die Gleise zu laufen geht nicht. Man riskiert den Tod.

Es ist kurz nach Mittag und ziemlich warm. Man sieht kaum jemanden auf der Straße. In einem Café wird zu einem Cortado ein Berliner angeboten.

Gestrandet auf dem Grenzbahnhof

Zu Benjamins Grab sind es vom Bahnhof etwa zwanzig Minuten. Vor dem Eingang zum Friedhof findet sich ein Gedenkort für Benjamin, eine raumgreifende Installation im öffent­lichen Raum von Dani Karavan. Eine steile Treppe, eigentlich fast ein Tunnel, nur ohne Schienen, an dessen En­de man das Meer sieht und das, so heißt es, auch vom Passagen-Werk inspiriert wurde. Eine Frau sitzt am unteren En­de und schaut auf das blaue brausende Meer. Minutenlang. Stundenlang. Ta­gelang.

Zurück auf dem Perron blickt einem eine alte Bahnhofsuhr streng in die Au­gen. Die heilige Bahnzeit, die auch in Portbou stillschweigend über alles und alle waltet. Auch heute landen in Portbou viele Reisende, um weiterzukommen. Die spanische Polizei befragt gerade eine Frau mit zwei Kindern auf der Flucht, die auf dem Weg von Spanien nach Frankreich oder von Frankreich nach Spanien sind. Dürfen sie weiter oder müssen sie zurück? Aber wohin? Werden sie hier bleiben müssen?

Solche Szenen kennt man auch von anderen Grenzbahnhöfen in Europa. Aus Ventimiglia in Italien zum Beispiel, dem ersten Ort nach Frankreich. Aus Břeclav in Tschechien. Aus Bad Schandau.

Der Zug nach Frankreich steht abfahrbereit. Der Zug nach Barcelona auch.

Zwischen den beiden Zügen, Bahnsteigen und Spurweiten steht das heute fast leere Bahnhofsgebäude. Die beiden Polizisten. Die Passierscheine der Frau. Die Bahnhofsuhr. Und eine Passage.

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