#Und was kommt nach Erdogan?
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„Und was kommt nach Erdogan?“
Die Geschichte der Türkei im zwanzigsten Jahrhundert kennt den Wandel vom politisch, militärisch und wirtschaftlich erodierten Osmanenreich zur Republik Türkei, die heute zu den G-20-Staaten gehört. Für Jahrzehnte bildete die grundstürzende Modernisierung Mustafa Kemal Atatürks in den Zwanziger- und frühen Dreißigerjahren des vorigen Jahrhunderts das Zentrum einer scheinbar ganz neuen Geschichte dieses Landes. Seit gut einem Jahrzehnt jedoch scheint die „moderne“ Türkei von der islamistischen Reaktion politisch, institutionell und kulturell demontiert zu werden. Der im neunzehnten Jahrhundert eingeschlagene lange Weg nach Europa hat eine Kehre genommen.
Maurus Reinkowskis „Geschichte der Türkei“ ist eine politische Geschichte der Türkei, in der das Handeln der politischen Akteure und das Staatshandeln im Vordergrund stehen. Ausführungen zur Wirtschaft kommen wenige vor, sozialgeschichtliche Beschreibungen und Analysen sowie Kulturgeschichte, die über den Bereich von Religion und politischer Kultur hinausgeht, fehlen. Aber das ist die Absicht des Autors, der auf diese Weise seine Stärken als Islamwissenschaftler ausspielen kann.
Ambivalenzen des historischen Neuanfangs
Sein Buch enthält eine fein nuancierte, auf drei Gegensätze abhebende Darstellung: den von der säkularen und religiösen Türkei, die damit zusammenhängenden Konflikte zwischen der Politik urbaner und ländlicher Milieus und das politisch relevante gefühlsgeschichtliche Spannungsverhältnis von Zuversicht und Zorn, worunter „der rasche Wechsel von Helden- und Opferrolle, von Virilität und Fragilität“ zu verstehen sei.
Wie sehr die Reformen Atatürks an die Europäisierung und Modernisierung im Osmanenreich seit dem ausgehenden achtzehnten Jahrhundert anschließen, legt Reinkowski systematisch und präzise dar. Auch die späte Entstehung und Radikalisierung des Nationalismus der Jungtürken, deren Regierung den Genozid an den christlichen Syrern und Armeniern des Osmanenreiches 1915 zu verantworten hat, sowie die Kontinuität der jungtürkischen Elite in die 1923 gegründete Republik Türkei hinein gehören zu den Ambivalenzen des historischen Neuanfangs.
Kontinuierliche Repressionen
Dennoch war die historische Zäsur tief. Durch die mit dem Namen Atatürk verbundenen Reformen und die politische Dominanz der Kemalisten habe sich der „kemalistische bürokratisch-intellektuell-judikativ-militärische Komplex“ herausgebildet, was meint, dass die Kemalisten den Staat beherrschten und unter gebildeten Städtern ihre Anhänger hatten, kaum jedoch auf dem Land und unter Gläubigen der sunnitischen Orthodoxie.
Nun bestand aber einer der folgenreichsten Widersprüche des säkularen, ideologisch oszillierenden kemalistischen Projekts darin, die türkische Nation im laizistischen Staat mit Hilfe des Islam zu definieren. Ein Türke sollte nicht nur – wie einer der politischen Slogans der frühen Republik lautete – glücklich sein, sich Türke nennen zu dürfen, sondern sich durch seinen sunnitischen Islam von anderen in nationaler Hinsicht unterscheiden. Dieser ausgrenzende Nationalismus angesichts einer religiös und ethnisch heterogenen Bevölkerung im türkischen „Nationalstaat“ blieb die Konstante politischen Handelns aller türkischen Regierungen bis heute. Die Kontinuität der nationalistischen Repression traf nicht nur die größte Minderheit der Kurden, sondern auch die nach dem „Bevölkerungsaustausch“ 1923 noch verbliebenen Istanbuler Griechen sowie Juden, Armenier und Aleviten.
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