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#Und weil der Mensch kein Mensch ist: Thomas Cailleys Film „Animalia“ im Kino

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Kann eine Familie weiterhin bestehen bleiben, wenn sie plötzlich eine unbekannte Gattung enthält? Thomas Cailleys Film „Animalia“ erzählt davon, wie wir wieder Tiere wurden.

Wenn einem Menschen Flügel wachsen, dann ist das meist eine Metapher. Jemand erhebt sich auf eine neue Ebene, erreicht eine unvermutete Qualität, geht über seine Grenzen hinaus. In der aktuellen Serie „Mrs. Davis“ sind „wings“ ein zwiespältiges Merkmal, das eine Künstliche Intelligenz vergibt, wenn Menschen sich besonders gut in das Gleichmaß der Algorithmen fügen. Sie „fliegen“ dann gerade so hoch, dass niemand in Versuchung geraten könnte, sich an ihnen zu orientieren. Eine sehr erfolgreiche Firma für Dosengetränke hat aus der Idee mit den Flügeln ihren Slogan gemacht, der mit putzigen ­Zeichentrickfiguren dem Traum vom (nicht düsengetriebenen) Fliegen endgültig die mythische Größe nahm, die er in der Sage von Dädalus und Ikarus noch hatte.

Thomas Cailleys Film „Animalia“ könnte man nun auch als eine Sage verstehen. Und er enthält auf jeden Fall eine starke Metapher.

Bei den Flügeln allerdings ist er sehr konkret. Schmerzhaft konkret. Da geht es um Skelett, um Schulterblätter, um Rückenmuskulatur und darum, dass aus einem Menscheninneren etwas nach draußen drängt, das eine andere Natur enthält. Ein Tier, das krachend und knackend Gestalt anzunehmen versucht, während ein Mensch nicht weiß, ob er sich gerade verliert oder eine neue Dimension gewinnt.

Die Krone der Schöpfung?

„Animalia“ spielt in Frankreich. In der ersten Szene sehen wir François (Romain Duris) und seinen Sohn Émile (Paul Kircher) in einem Auto. Sie stecken im Stau, es gibt Aufsehen wegen eines Krankenwagens, in dem etwas poltert oder wütet. Für ein paar Sekunden bekommen wir dann das erste dieser Wesen zu sehen, von denen „Animalia“erzählt. Eine vogelähnliche Kreatur, die sofort das Weite sucht. Im Französischen lautet der Titel „La règne animal“, also „Das Reich der Tiere“. Das Wort „règne“ ist wichtig, denn es enthält viele Bedeutungsebenen. Die Menschen bewohnen ihr Reich, die Tiere ein anderes. Sie sind jeweils souverän in ihrem Reich, aber die Reiche stehen in Konflikt. Historisch gesehen strebten Reiche oder Imperien oft nach einer religiösen Legitimation, es geht also auch in Andeutung um so etwas wie Letzt­begründung einer Ordnung, die lange Zeit als Schöpfungsordnung verstanden wurde. Mit dem Menschen als Krone der Schöpfung.

Thomas Cailley spielt nun (nach einem Drehbuch, das er mit Pauline ­Munier verfasst hat) eine Rückabwicklung dieser Ideologie durch. In „Animalia“ geht es um eine Gesellschaft, in der zunehmend häufiger Mutationen auftreten. Menschen verwandeln sich, be­kommen Züge, physiognomische Eigenheiten und Verhaltensweisen von Tieren. So auch Lana, die Mutter von Émile, die Frau von François – sie ist, wie die meisten dieser Wesen, nur für einen Moment zu sehen, eher in einer Andeutung, sie wirkt, als wäre sie aus einer Science-Fiction-Saga gefallen, aber da ist auch etwas genuin Fremdes, Rätselhaftes, Unerreichbares. Wenn die Menschheit eine Familie ist, wie es in dem Begriff „family of man“ einmal zelebriert wurde, dann sind François, Lana und Émile nun ein Testfall – kann eine Familie weiterhin bestehen bleiben, wenn sie plötzlich eine unbekannte Gattung enthält? Wenn sie also über das Menschliche hinausweist? Oder vielleicht hinter das Menschliche zurückfällt?

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