#Nachts klopfen die Seuchenschützer an der Tür
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„Nachts klopfen die Seuchenschützer an der Tür“
Um halb drei Uhr morgens kamen die Seuchenschützer. Sie klopften an einer Wohnungstür in Schanghai. Als die 94 Jahre alte Bewohnerin nicht öffnete, brachen sie einfach die Tür auf. Die alte Dame war vor mehr als einer Woche positiv auf das Coronavirus getestet worden und zeigte kaum Symptome. Trotzdem sollte sie jetzt, mitten in der Nacht und gegen ihren Willen, in ein Altenheim gebracht werden, das zu einem Quarantänezentrum umfunktioniert wurde.
So jedenfalls schildert es ihre Enkelin Zhiye, eine Journalistin aus Schanghai. „Meine Großmutter weigerte sich zu gehen. Zu dem Zeitpunkt lag sie noch im Bett“, schreibt die Enkelin im Netzwerk Weibo. Die Seuchenschützer hätten ihre Großmutter samt der Bettdecke auf den Boden gezerrt, um sie abzutransportieren. Zhiyes Onkel, der ebenfalls in der Wohnung war, drängte seine Mutter schließlich zu kooperieren, weil er fürchtete, dass sie sonst verletzt werden könnte. Das Quarantänezentrum, in das sie gebracht wurden, war nach Darstellung des Onkels so überfüllt, dass viele der älteren Leute auf den Gängen ausharren mussten.
Seit Wochen kursieren im Internet haarsträubende Berichte über die Corona-Maßnahmen in Schanghai. Seit Kurzem mehren sich die Fälle, in denen besonders alte und gebrechliche Menschen in Quarantänezentren verfrachtet werden. Eine Ausnahmeregel, wonach solche Menschen bisher Heimquarantäne beantragen konnten, wurde offenbar abgeschafft.
Womöglich ist das der Preis für die am Mittwoch von der Schanghaier Stadtverwaltung verkündeten Lockerungen. Demnach dürfen weitere vier Millionen Bewohner ihre Wohnungen nun verlassen, weil in ihren Stadtteilen keine Neuinfektionen mehr gemeldet wurden. Eine ähnliche Lockerung hatte es vergangene Woche schon für knapp acht Millionen Schanghaier gegeben. Wie weit ihre Freiheit reicht, ist damit nicht gesagt. In vielen Fällen ist der erlaubte Bewegungsradius weiterhin stark eingeschränkt. Für fast die Hälfte der Einwohner der 25-Millionen-Metropole gilt weiterhin ein striktes Ausgehverbot. Bis zu einer Aufhebung des Lockdowns ist es wohl noch ein langer Weg.
Die Lokalregierung bemühte sich am Mittwoch, Optimismus zu verbreiten. Erstmals sei das Virus in zwei Bezirken der Stadt wieder „effektiv unter Kontrolle“, sagte Wu Ganyu, ein Mitarbeiter der Gesundheitskommission. Möglich wurde das aber nur durch eine Änderung der Erfolgsparameter. Das Ziel in Schanghai lautet nun nicht mehr „Null Covid“, sondern „Null Covid in der Gesellschaft“. Sofern alle positiv Getesteten in Quarantänezentren untergebracht sind und Neuinfektionen nur noch dort bei isolierten Kontaktpersonen und nicht mehr „in der Gesellschaft“ auftreten, gilt ein Stadtbezirk als virusfrei. Diese verschobene Messlatte könnte der Grund dafür sein, dass nun auch für Alte und Gebrechliche keine Ausnahmen mehr gemacht werden.
Rufe nach zivilem Ungehorsam
Der Sohn eines 93 Jahre alten früheren Professors der East China University of Science and Technology schrieb am Mittwoch, seinen Eltern sei eine Sondererlaubnis zur Heimquarantäne unter Verweis auf neue Vorschriften entzogen worden. Beide seien am Dienstag um halb zwei Uhr morgens abgeholt worden. Womöglich hatten es die Behörden eilig, ihre Statistik zu bereinigen, bevor am Mittwoch die Lockerungen verkündet wurden. Der Sohn des Professors, Lv Jian, berichtete empört, dass seine 90 Jahre alte Mutter bettlägerig sei und in der Aufregung über den erzwungenen Abtransport ihre Medikamente vergessen habe. In dem Isolationszentrum, in das sie gebracht wurde, eine umfunktionierte Schule, gebe es keinerlei ärztliche Versorgung.
Andrang in einem temporären Krankenhaus in Schanghai am Montag
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Bild: EPA
Fälle wie diese nähren in Schanghai die Wut der Eingeschlossenen und lassen Rufe nach zivilem Ungehorsam lauter werden. Die Lokalregierung sah sich am Dienstag gezwungen, die Öffentlichkeit zur Kooperation zu ermahnen. Offenbar verweigern sich viele Bewohner dem Abtransport in Quarantänezentren oder der Teilnahme an Massentests. Viel Zuspruch erhielt am Mittwoch eine alte Frau, die sich gegen einen Seuchenschützer zur Wehr setzte, der sie mit einem Besen daran hindern wollte, eine Isolationseinrichtung zu verlassen.
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